PKW-Schleichbezug (BGH – I ZR 184/86)

Leitsatz

Zur Frage der Sittenwidrigkeit des Schleichbezugs von Kraftfahrzeugen zum Zwecke ihres Wiederverkaufs im Export, wenn diese vom Hersteller im Rahmen seines Vertriebssystems ausschließlich zur Abgabe an Endverbraucher bestimmt sind.

BGH, Urt. v. 14.07.1988, OLG Schleswig, LG Kiel

 

Tatbestand

 
Die Klägerin ist Herstellerin von Kraftfahrzeugen. Sie vertreibt ihre Erzeugnisse weltweit über eigene Niederlassungen und über Vermittlungs-Handelsvertreter, in geringem Umfang auch über Kommissionäre. Ihr Vertriebskonzept ist die Veräußerung von Neufahrzeugen unmittelbar an Endabnehmer; gewerbliche Wiederverkäufer werden nur beliefert, wenn sie der Vertriebsorganisation der Klägerin angehören. Entsprechende Verkaufs- und Vermittlungsverbote vereinbarte und vereinbart die Klägerin mit ihren Handelsvertretern und Kommissionären im Bereich der Bundesrepublik Deutschland und ab 1. Juli 1985 auch im Bereich der Europäischen Gemeinschaft; ihre Vertragspartner mit Vertretungsgebieten außerhalb der Europäischen Gemeinschaft (bis 30. Juni 1985: außerhalb der Bundesrepublik Deutschland) verpflichtet die Klägerin, keine Neufahrzeuge an Exporteure zur Ausfuhr in Länder außerhalb des jeweiligen Vertretungsgebiets zu verkaufen.

 

Die Beklagten betreiben ihren Firmenbezeichnungen zufolge die Vermietung von Kraftfahrzeugen.

 

Darüber hinaus kaufen sie fabrikneue Personenkraftwagen der gehobenen Klassen, insbesondere

solche der Klägerin, und exportieren sie ins Ausland. Die von ihnen hierfür benötigten Neuwagen kauften die Beklagten zunächst selbst über die K. Niederlassung der Klägerin ein. Wegen der Exporttätigkeit der Beklagten schloß die Klägerin diese gegen Ende des Jahres 1983 von der weiteren Belieferung mit Neufahrzeugen aus. Daraufhin gingen die Beklagten dazu über, sich Neuwagen der Klägerin zum Zwecke des Exports auf andere Weise zu beschaffen. In Tageszeitungen gaben sie Inserate folgenden Inhalts auf:

“ Sehr interessanter Nebenverdienst für selbständige Jungunternehmer (Gewerbetreibende). Keine Vertretertätigkeit, sondern Sie sollen für uns etwas bestellen.

 

Rufen Sie uns doch einmal unverbindlich an. Wir erklären Ihnen gerne, um was es geht. Verlangen Sie bitte Herrn H. persönlich. Telefon ….“

 

Auf Anfragen von Interessenten übersandten die Beklagten sodann eine Beschreibung ihrer Geschäftsziele und der Aufgaben, die der Interessent zu übernehmen hatte. Nach dieser sehr detaillierten, mehrseitigen „Beschreibung“ sollten die angesprochenen Interessenten im eigenen Namen, aber für Rechnung der Beklagten bei „D.-Händlern“ bestimmte Typen der Fahrzeuge der Klägerin zu erwerben suchen, wobei sie den Händlern – so wörtlich der Text der Beschreibung – „klarmachen“ sollten, daß sie beabsichtigten, das Fahrzeug selbst zu nutzen. Für diese Tätigkeit wurde den Interessenten eine Provision von – je nach Fahrzeugtyp – 2.000,– DM bzw. 5.000,– DM pro Wagen in Aussicht gestellt. Gingen die Interessenten auf das Angebot ein, so wurden schriftliche Verträge in einer der „Beschreibung“ weitgehend entsprechenden Ausgestaltung abgeschlossen.

 

Die Klägerin sieht hierin eine sittenwidrige Form des Schleichbezugs. Sie hat beantragt,

die Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, selbst und/oder durch Mitarbeiter und/oder durch Tochterunternehmen

1. über Strohmänner oder Strohfirmen M.-Neufahrzeuge bei der Klägerin zu bestellen oder bestellen zu lassen oder Kaufverträge über fabrikneue M.-Fahrzeuge abzuschließen oder abschließen zu lassen;

2. Privatpersonen oder Gewerbetreibende als Strohmänner oder Strohfirmen für den Erwerb von fabrikneuen M.-Fahrzeugen einzuschalten, insbesondere sie anzuwerben, entsprechende Verträge mit ihnen abzuschließen;

3. die nachfolgenden Texte ganz oder auszugsweise im Geschäftsverkehr zu verwenden, zu veröffentlichen oder zu versenden: (Es folgt die volle Wiedergabe des Wortlauts der Inserate und der „Beschreibung“).

 

Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Sie haben insbesondere die Auffassung vertreten, daß zwischen den Parteien kein Wettbewerbsverhältnis bestehe, jedenfalls keines, das nach deutschem Wettbewerbsrecht beurteilt werden könne, und daß das Vertriebssystem der Klägerin gegen kartellrechtliche Bestimmungen verstoße und deshalb, aber auch wegen seiner – von den Beklagten behaupteten – Lückenhaftigkeit nicht schutzfähig sei.

 

Das Landgericht hat die Beklagten im wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Auf ihre Berufung ist das vom Landgericht ausgesprochene Verbot wie folgt eingeschränkt worden:

 

Es zu unterlassen, selbst und/oder durch Mitarbeiter und/oder durch Tochterunternehmen

1. über Gewerbetreibende als Strohmänner oder über Strohfirmen fabrikneue M.-Personenkraftwagen bei der Klägerin oder deren Kommissionären zu bestellen oder bestellen zu lassen;

2. Gewerbetreibende als Strohmänner oder Strohfirmen für den Erwerb von fabrikneuen M.-Personenkraftwagen einzuschalten, insbesondere sie anzuwerben, entsprechende Verträge mit ihnen abzuschließen oder die nachfolgenden Texte ganz oder auszugsweise im Geschäftsverkehr zu verwenden, zu veröffentlichen oder zu versenden: (Es folgt wie im Antrag der Klägerin der Text der Inserate und der „Beschreibung“).

 

Im übrigen ist die Berufung erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgen die Beklagten ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 
Entscheidungsgründe

 
I. Das Berufungsgericht hat deutsches Wettbewerbsrecht angewendet, ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bejaht und den Unterlassungsanspruch in dem geringfügig eingeschränkten Umfang als nach § 1 UWG begründet angesehen, weil der Erwerb der Fahrzeuge mittels Täuschung der Veräußerer einen unlauteren Angriff auf die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit des Herstellers darstelle und deshalb gegen die guten kaufmännischen Sitten verstoße. Ob die von der Klägerin gegen die Beklagten verhängte Liefersperre gegen § 26 Abs. 2 GWB verstoße, sei ohne Belang, weil selbst dann das eingesetzte Mittel des Schleichbezugs rechtswidrig wäre; die Beklagten wären dann vielmehr gehalten, ihren Belieferungsanspruch mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen.

 

Im übrigen liege – was das Berufungsgericht näher ausgeführt hat – ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des § 26 Abs. 2 GWB auch nicht vor.

 

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

 

1. Ohne Erfolg rügt die Revision die Anwendung deutschen Wettbewerbsrechts. Ihr Hinweis auf die Senatsentscheidung vom 30. Juni 1961 – I ZR 39/60 (BGHZ 35, 329, 333f – Kindersaugflaschen) vernachlässigt wesentliche Unterschiede der jeweils zur Beurteilung stehenden Sachverhalte. Anders als im angeführten Fall geht es vorliegend nicht um ein Wettbewerbsverhalten eines deutschen Unternehmens, das sich auf ausländischen Märkten gegen einen ausländischen Konkurrenten richtet.

 

Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist vielmehr die Unterlassung eines Verhaltens deutscher Gewerbetreibender, das sich ausschließlich gegen ein deutsches Unternehmen richtet und das, weil nicht die Exporte der Beklagten isoliert, sondern die von ihr ausschließlich im Inland veranlaßten Strohmannkäufe angegriffen sind, in Deutschland begangen worden ist. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei annehmen, daß – insoweit abweichend vom Fall der genannten Senatsentscheidung (aaO – Kindersaugflaschen) – schon der Begehungsort der angegriffenen Handlung im Inland liegt.

 

2. Die Revision rügt weiter, das Berufungsgericht hätte überhaupt nicht von einem Wettbewerbsverhältnis der Parteien ausgehen dürfen, da die Beklagten die Fahrzeuge der Klägerin zu Endverbraucherkonditionen kauften und daher ihrerseits als Endabnehmer anzusehen seien; auf das Verhältnis zwischen Hersteller und Endabnehmer sei § 1 UWG nicht anwendbar. Auch diese Rüge bleibt erfolglos, da sie unbeachtet läßt, daß die Beklagten die Fahrzeuge unstreitig zum Zweck des Weiterverkaufs erwerben, mit dem sie in unmittelbaren Wettbewerb zur Klägerin treten, und daß der Erwerb der Fahrzeuge, der nur zum Schein durch „Endabnehmer“ erfolgt, notwendiger Teil dieses Wettbewerbsverhaltens ist.

 

3. Das Berufungsgericht hat das angegriffene Verhalten als Verstoß gegen § 1 UWG angesehen. Dabei ist es verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, daß im vorliegenden Fall nicht ein Verkaufssystem mit Händlerbindungen, sondern ein Eigenvertriebskonzept der Klägerin vorliegt und daß deshalb die von der Rechtsprechung zum Schleichbezug bei bestehenden Preis- oder Vertriebsbindungen entwickelten Rechtsgrundsätze nicht unmittelbar angewendet werden können. Es hat jedoch – unter ergänzendem Hinweis auf seine Ausführungen in dem zwischen denselben Parteien ergangenen Berufungsurteil im einstweiligen Verfügungsverfahren (GRUR 1986, 259, 260) – die Voraussetzungen eines sittenwidrigen Schleichbezugs auch im vorliegenden Fall als erfüllt angesehen, weil die Beschaffung einer Ware gegen den erklärten und bekannten Willen des Herstellers durch Vorschieben von Strohmännern und damit durch Täuschung einen unlauteren Angriff auf die Entschließungsfreiheit des Herstellers darstelle. Auch dies läßt – jedenfalls im Ergebnis – keinen Rechtsfehler erkennen.

 

a) Allerdings erscheint die Formulierung des Ausgangspunkts dieser rechtlichen Erwägung des Berufungsgerichts bedenklich weit, da – wie die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Testkäufen erkennen läßt (vgl. BGHZ 43, 359, 366 – Warnschild; BGH, Urt. v. 26.6.1981 – I ZR 71/79, GRUR 1981, 827, 828 = WRP 1981, 636 – Vertragswidriger Testkauf; st. Rspr.) – nicht schlechthin jeder mit einer Täuschung durch Mittelsmänner verbundene Angriff auf die Entschließungsfreiheit eines Verkäufers als unlauter angesehen werden kann.

 

b) Das Berufungsgericht hätte aber – entgegen seinen hierzu (namentlich in der vorbezeichneten Verfügungsentscheidung) geäußerten Zweifeln – die Grundsätze der Rechtsprechung zum Schleichbezug bei Preis- und Vertriebsbindungssystemen zur Begründung seiner Auffassung entsprechend heranziehen können, auch wenn ein solches Händlerbindungssystem im vorliegenden Fall nicht zur Beurteilung steht. Nach dieser Rechtsprechung ist die Mißachtung einer Bindung – insoweit auch ohne Nachweis der Lückenlosigkeit dieser Bindung – stets wettbewerbswidrig, wenn sich der Außenseiter die Ware auf unlauteren Schleichwegen, insbesondere durch Vorschieben eines Mittelsmannes unter Verheimlichung des wahren Abnehmers, beschafft (vgl. RGZ 136, 65, 73 – Effka-Margarine; 151, 239, 243 – Seifenstraßenhandel; BGHZ 40, 135, 138 – Trockenrasierer II). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß es guten kaufmännischen Sitten widerspricht, ein von einem Hersteller in Ausübung seines insoweit grundsätzlich freien und schützenswerten Rechts zur Wahl seiner Vertriebsweise (vgl. BGHZ 28, 54, 59 – Direktverkäufe; BGH, Urt. v. 1.7.1976 – KZR 34/75, GRUR 1977, 49, 50 – BMW-Direkthändler) geschaffenes und durch Verträge grundsätzlich auf Lückenlosigkeit angelegtes Vertriebssystem mit einem Mittel – nämlich dem der Täuschung – um die beabsichtigte Wirkung bringen zu wollen, das von der Rechtsordnung grundsätzlich – abgesehen von seltenen Ausnahmefällen besonderer Rechtfertigung – mißbilligt und von anständigen Kaufleuten demgemäß nicht angewendet wird. Diese Grundsätze können auch für den vorliegenden Sachverhalt herangezogen werden. Zwar unterscheidet letzterer sich – was das Berufungsgericht beanstandungsfrei festgestellt hat – von den früher entschiedenen Fällen durch die Art des Vertriebssystems. Auch vorliegend handelt es sich jedoch – insoweit im Grundsätzlichen den anderen Fällen vergleichbar – um eine von der Klägerin gewählte Art des Vertriebs, die durch vertragliche Ausgestaltung einen bestimmten Vertriebsweg – hier den Verkauf durch die Klägerin – sichern und Außenseiter ausschließen soll, sowie um einen Einbruch in dieses System mit Hilfe des anstößigen Mittels einer Täuschung, die hier planmäßig unter Einschaltung von ihrerseits zu täuschendem Verhalten angestifteten Personen als „Strohmännern“ durchgeführt wird. Daß das Berufungsgericht ein solches Verhalten als an sich anstößig und mit guten Wettbewerbssitten unvereinbar angesehen hat, ist danach aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

 

4. Ohne Erfolg berufen sich die Beklagten darauf, daß ihr Verhalten als berechtigte wettbewerbliche Abwehr beurteilt werden müsse und eine Anwendung des § 1 UWG deshalb ausgeschlossen sei. Die Beklagten können gegen ihren Ausschluß von der Belieferung mit Fahrzeugen der Klägerin zum Zweck des Wiederverkaufs, insbesondere des Exports, dieser Fahrzeuge im Klagewege vorgehen, sofern sie darin einen Verstoß gegen § 26 GWB sehen. Damit entfällt die Notwendigkeit einer wettbewerblichen Abwehr (BGHZ 37, 30, 36 – Selbstbedienungsgroßhandel), ohne daß es darauf ankommt, ob die Liefersperre kartellrechtlich unbillig sein und insoweit das Vertriebssystem der Klägerin kartellrechtlichen Bedenken unterliegen könnte. Im übrigen stellt ein systematischer Schleichbezug unter Täuschung des Verkäufers auch kein geeignetes Abwehrmittel dar. Zwar kann ein an sich anstößiges Verhalten aus notwendigen Abwehrzwecken eine andere – aus der Sittenwidrigkeit herausführende – Beurteilung erfahren (BGH, Urt. v. 22.1.1971 – I ZR 76/69, GRUR 1971, 259, 260 = WRP 1971, 222 – WAZ m.w.N.). Dies gilt jedoch – wegen der besonderen Verwerflichkeit von Täuschungshandlungen im Rechtsverkehr – grundsätzlich nicht für ein Verhalten, durch das – wie vorliegend – der Geschäftspartner systematisch und – wie dargelegt – ohne wirklich zwingende Notwendigkeit getäuscht wird.