Modeschmuck (BGH – I ZR 160/76)

Ein wettbewerblicher Schutz aus UWG § 1 für Modeschmuckanhänger setzt voraus, daß die Schmuckanhänger eine besondere wettbewerbliche Eigenart besitzen; die Ausgestaltung der Anhänger muß also geeignet sein, bei den in Frage kommenden Abnehmern auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheit dieser Erzeugnisse hinzuweisen.

BGH, Urt. v. 20.10.1978, OLG Koblenz, LG Bad Kreuznach

 

Tatbestand

    Die Parteien befassen sich mit der Herstellung und dem Verkauf von Modeschmuck. Die Klägerin stellte in den Jahren 1973 und 1974 eine Serie von 12 Modeschmuck-Anhängern aus Schleuderguß her, die in einer Größe von 3 – 4 cm folgende Gegenstände darstellen: „Herz“, „Doppelherz“, „Fußabdruck“, „Fischgräte mit Kopf“, „Hand“, „Schraubenschlüssel“, „Schraubenschlüssel“ (sog „Engländer“), „Hammer“, „Schraubstock“, „Säge“, „Zange“ und „Dolch“. Diese Anhänger, die sie im Großhandel zu Preisen zwischen 0,50 DM und 1,00 DM anbot, führten als „Renner“ zu einer starken Umsatzsteigerung bei der Klägerin. Im Frühjahr 1974 fertigte die Beklagte Kettchen mit Anhänger an, die den genannten Anhängern der Klägerin genau glichen, und bot diese mit Preislisten vom 3. und 5. Mai 1974 zu 0,60 – 0,75 DM mit Kette und zu 0,25 – 0,55 DM ohne Kette an. Sie hat nur von dem Anhänger „Fuß“ 1.000 Stück verkauft. Auf eine entsprechende Aufforderung der Klägerin vom 29. Mai 1974 hat sie die weitere Produktion und den weiteren Vertrieb der genannten Gegenstände eingestellt.

    Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten die Nachbildung der von der Klägerin entworfenen Muster von Modeschmuck zu untersagen; sie hat ferner die Verurteilung der Beklagten zur Auskunftserteilung über den Umfang der Verletzungshandlungen begehrt. Das Landgericht hat der Klage im Unterlassungsantrag stattgegeben, den Anspruch auf Auskunftserteilung jedoch abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten ist auch der Unterlassungsanspruch abgewiesen worden. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin weiterhin ihren Unterlassungsanspruch. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

    I. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen von Anspruchsgrundlagen aus dem Urheberrechtsgesetz, dem Geschmacksmustergesetz und dem Warenzeichengesetz verneint. Diese Beurteilung wird von der Revision nicht angegriffen; sie läßt Rechtsfehler nicht erkennen. Soweit das Oberlandesgericht darüberhinaus auch Ansprüche aus § 1 UWG verneint, halten seine Ausführungen den Angriffen der Revision teilweise, nämlich hinsichtlich der Anhänger „Fuß“, „Hand“ und „Fischgräte mit Kopf“, nicht stand.

    II. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Beklagte die hier in Rede stehenden Schmuckanhänger „ohne jede Abweichung nachgebildet“ habe, an anderer Stelle des Urteils ist von „identischer Nachahmung“ die Rede. In der Tat gleichen, wie die bei den Akten befindlichen und vom Berufungsgericht in bezug genommenen Lichtbilder zeigen, die Schmuckanhänger der Beklagten denjenigen der Klägerin – abgesehen von ganz unwesentlichen, wohl nur auf unpräziser Fertigung beruhenden Abweichungen (beim Anhänger „Fischgräte mit Kopf“ ist die 4. obere Gräte, beim Anhänger „Fuß“ sind der 2. und 4. Zeh kürzer als bei den entsprechenden Modellen der Klägerin) – sowohl in der Wahl des Motivs wie in der Gestaltung und Ausführung bis aufs Detail. Es liegt daher eine identische Nachbildung der Schmuckanhänger der Klägerin durch die Beklagte vor. Hierzu geht das Berufungsgericht mit Recht davon aus, daß in solchen Fällen – ähnlich wie in Fällen der sog unmittelbaren Übernahme (vgl Senatsurteil v 19.6.1974, WRP 1976, 370, 371 – Ovalpuderdose) – an das Vorliegen weiterer besonderer Umstände, die erst das Vorgehen wettbewerbswidrig machen, geringere Anforderungen zu stellen sind als bei Nachbildungen, die einen größeren Abstand vom nachgebildeten Original aufweisen.

    Ein solcher wettbewerblicher Schutz aus § 1 UWG setzt jedoch, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, voraus, daß die von der Beklagten nachgeformten Schmuckanhänger der Klägerin eine besondere wettbewerbliche Eigenart besitzen, die Ausgestaltung der Anhänger muß also geeignet sein, bei den in Frage kommenden Abnehmern auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheiten dieser Erzeugnisse hinzuweisen (Senatsurteile v 21.1.1977, GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze – und v 19.6.1974, WRP 1976, 370, 371 – Ovalpuderdose). Hieran fehlt es nach Ansicht des Berufungsgerichts. Es führt dazu aus, die aus silberglänzendem Metall gefertigten Anhänger der Klägerin seien alltägliche, billige Dutzendware in einfachster Ausführung ohne besondere Originalität in der Gestaltung; sie erschöpften sich in der Wiederholung längst bekannter, als Glücksbringer gedachter figürlich und naturalistisch geformter Gegenstände und Formen ohne weitere Attribute, Verfremdungen oder ähnliche eine besondere Eigenart begründende Gestaltungsmerkmale oder Herkunftsmerkmale.

    Damit hat das Berufungsgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt nur unvollständig gewürdigt. Seine Ausführungen leiden, wie die Revision mit Recht hervorhebt, entscheidend daran, daß sie eine nur pauschale Bewertung sämtlicher hier in Rede stehender Anhänger der Klägerin enthalten, ohne daß auf die Besonderheiten der Gestaltung einzelner Anhänger näher eingegangen wird.

    So bilden die Anhänger „Fußabdruck“, „Hand“ und „Fischgräte mit Kopf“ eine besondere Gruppe, deren Gestaltung sich durch auffällige Verfremdungseffekte auszeichnet. Die Revision führt dazu aus: Bei dem Anhänger „Fußabdruck“ wachse aus einer großen Kurve eine überdimensionale Ballenpartie und Zehenpartie heraus. Dabei seien die Zehen galerieartig voneinander getrennt, aus der Zehenreihe rage der Großzeh in einer Art Pflaumenform heraus. Mit diesem Mittel einer verfremdenden Gestaltung habe der Designer einen grotesken Überraschungseffekt erzielt, der fern von jeder naturalistischen Wiedergabe sei und im Hängezustand etwa so wirke, als stehe ein schwungvoll gekurvter Schaftstiefel auf Eiern oder Pflaumen. Dieser popartige Verfremdungseffekt und Überraschungseffekt spreche insbesondere die als Zielgruppen gedachten jugendlichen Käuferschichten an. – Der Anhänger „Hand“ sei in ähnlicher Weise verfremdet. Die Handfläche sei verkürzt und im Ansatz kurvenartig gestaltet. Im Gegensatz dazu seien die Finger in grotesker Weise verlängert und liefen aus in eine keulenartige Verdickung, etwa so als habe man einen verkürzten Handschuh mit wassergefüllten Fingerenden aufgehängt. – Auch bei dem Anhänger „Fischgräte mit Kopf“ handele es sich nicht um eine naturalistische Kopie natürlicher Vorbilder. Der Anhänger weise nur sechs dicke Grätenpaare auf, die mit Kopf und Schwanz erst durch die Kunst des Designers zu einem geschlossenen und gekurvten Umriß gestaltet worden seien.

    Diese von der Revision zutreffend hervorgehobenen tatsächlichen Merkmale zeigen, daß sich die genannten drei Anhänger durch auffällige individuelle Gestaltung, fern von einer realistischen Abbildung, darstellen. Diese eigenwilligen, ins Auge fallenden Gestaltungsmerkmale sind geeignet, bei den Käufern kennzeichnend für die Besonderheiten dieser Modeschmuckanhänger zu wirken. Berücksichtigt man ferner, daß im vorliegenden Fall an die Bejahung der wettbewerblichen Eigenart nur geringe Anforderungen zu stellen sind, weil es sich um identische Nachbildungen im ästhetisch-gestalterischen Bereich handelt, wobei – anders als im technischen Bereich – selbst bei der auf dem Modeschmucksektor nötigen Anpassung an Zeitgeschmack und Moderichtung in aller Regel ein ausreichender Spielraum für erkennbar abweichende Gestaltungsformen verbleibt (vgl Senatsurteile WRP 1976, 370, 371 – Ovalpuderdose – GRUR 1970, 244, 246 – Spritzgußengel – und GRUR 1969, 618, 620 – Kunststoffzähne), so läßt sich die wettbewerbliche Eigenart bei den Schmuckanhängern „Fuß“, „Hand“ und „Fischgräte mit Kopf“ nicht in Abrede stellen. Dann sind aber Nachbildung und Vertrieb dieser drei Anhänger unter den vom Berufungsgericht festgestellten Umständen – nämlich Nachbildung von drei Erzeugnissen, die innerhalb einer besonders erfolgreichen Serie durch ihre Eigenart herausragen, in identischer Form trotz unschwer möglicher und zumutbarer Abweichungen und ihr Vertrieb unter Preisunterbietung – nach § 1 UWG zu mißbilligen. Hiervon ist an sich auch das Berufungsgericht ausgegangen; es ist lediglich aufgrund seiner fehlsamen Beurteilung der wettbewerblichen Eigenart dieser drei Anhänger zu einem abweichenden Ergebnis gelangt.

    III. Dagegen fehlen den übrigen Schmuckanhängern der Klägerin, nämlich „Herz“, „Doppelherz“, „Schraubenschlüssel“, „Schraubenschlüssel“ (sog „Engländer“), „Hammer“, „Schraubstock“, „Säge“, „Zange“ und „Dolch“, besondere individuelle Gestaltungsmerkmale. Bei den Anhängern „Herz“ und „Doppelherz“ liegt das auf der Hand; auch die Revision führt nichts Gegenteiliges ins Feld. Diese Anhänger enthalten lediglich – einfach bzw doppelt – das Herz-Symbol in der seit langem für derartige „Glücksbringer“ bekannten konventionellen Gestalt. – Auch die übrigen Anhänger enthalten lediglich naturalistische Nachbildungen der genannten Gegenstände ohne individuelle Gestaltung. Wenn die Revision insoweit darauf verweist, daß gewisse Teile teils größer, teils kleiner als bei den Vorbildern wiedergegeben seien, so handelt es sich dabei lediglich um Merkmale, die einerseits durch die starke Verkleinerung der jeweiligen Gegenstände, andererseits durch die verhältnismäßig einfache Ausführung der Anhänger technisch geboten sind, nicht jedoch um ästhetisch-gestalterische Merkmale. Die Revision hebt denn auch entscheidend darauf ab, daß die Klägerin erstmals Werkzeuge als Motive von Schmuckanhängern verwendet habe. Es ist sicherlich nicht zu verkennen, daß die Klägerin hier den bei Schmuckanhängern mit Glücksbringer-Charakter (Talisman-Charakter) herkömmlichen Bereich von Glückssymbolen, etwa Herzen, Kleeblätter, Hufeisen, Münzen, Glöckchen, Glücksschweinchen uä, verlassen und stattdessen die genannten Werkzeuge und den Dolch als Motive verwendet hat. Die Wirkung insbesondere der „Werkzeug“-Anhänger beruht darauf, daß hier Gegenstände, die Assoziationen etwa an schwere und grobe körperliche Tätigkeit wecken, in einem ganz andersartigen Zusammenhang verwendet und gleichsam zum Schmuckstück mit Glücksbringer-Charakter „erhöht“ werden; ähnliches gilt für den Anhänger „Dolch“. Dieser Umstand ist jedoch nicht geeignet, eine wettbewerbliche Eigenart dieser Schmuckanhänger zu begründen. Die Besonderheit der Leistung der Klägerin besteht nicht in der eigentümlichen konkreten Verkörperung gestalterischer Gedanken in den einzelnen Schmuckanhängern, sondern nur in der auffälligen Motivwahl, also einer – abstrakten – Idee. Solche Ideen können jedoch ebensowenig wie etwa ein bestimmter Stil, eine bestimmte Technik oder Methode, Gegenstand eines wettbewerblichen Leistungsschutzes sein (Senatsurteil GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze). Die von der Revision hervorgehobenen, das Verhalten der Beklagten kennzeichnenden besonderen Umstände (identische Nachahmung eines ganzen Sortiments von Schmuckanhängern der Klägerin, Nachbildung nur kurze Zeit nach dem Erscheinen der Erzeugnisse der Klägerin, erhebliche Preisunterbietung) vermögen hieran nichts zu ändern.

    IV. Hinsichtlich der Anhänger „Herz“, „Doppelherz“, „Schraubenschlüssel“, „Schraubenschlüssel“ (sog „Engländer“), „Schraubstock“, „Hammer“, „Säge“ und „Dolch“ mußte danach die Revision ohne Erfolg bleiben.

    Dagegen war hinsichtlich der Anhänger „Hand“, „Fuß“ und „Fischgräte mit Kopf“ unter Aufhebung des Berufungsurteils das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen. Die durch den wiederholten Verletzungstatbestand begründete Wiederholungsgefahr als Voraussetzung für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch ist entgegen der Ansicht der Beklagten in der Revisionserwiderung nicht entfallen. Die Revisionserwiderung räumt selbst ein, daß hierfür grundsätzlich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten erforderlich gewesen wäre. Etwas anderes gilt hier auch nicht deshalb, weil die Klägerin selbst zunächst nur eine einfache – nicht strafbewehrte – Unterlassungserklärung verlangt und die Beklagte am 14. Juni 1974 eine derartige Erklärung abgegeben hatte. Denn die Klägerin hat jedenfalls in der Klagschrift ausdrücklich eine strafbewehrte Unterlassungserklärung begehrt, und die Beklagte hat die Abgabe einer derartigen Erklärung auch nach Erörterung dieser Frage im Verhandlungstermin vor dem Landgericht ausdrücklich abgelehnt.

    Der von der Klägerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist entsprechend ihrem Vorbringen in der Klagschrift, insbesondere dem darin zitierten Wortlaut ihres vorprozessualen Schreibens vom 29. Mai 1974 dahin zu verstehen, daß die Klägerin begehrt, der Beklagten Nachbildung und Vertrieb der beanstandeten Schmuckanhänger zu untersagen. Dem war bei der Neuformulierung des Urteilstenors Rechnung zu tragen.