Heimstättengemeinschaft (BGH – VI ZR 111/75)

Leitsatz

    1. Zu den Grenzen des zivilrechtlichen Ehrenschutzes durch Widerruf ehrenrühriger Behauptungen in einer Auseinandersetzung zwischen Familienangehörigen, Hausgenossen oder Angehörigen einer ähnlich engeren Gemeinschaft.

    2. Die Widerrufsklage kann nicht dazu benutzt werden, Vorbringen des Widerrufsbeklagten in einem zukünftigen gerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu entwerten.

    3. Solange der Kläger ernsthafte Anhaltspunkte für die Wahrheit einer ehrenrührigen Behauptung nicht ausgeräumt hat, kann er nicht deren Widerruf verlangen; auch nicht in der eingeschränkten Form, der Beklagte „könne sie nicht aufrechterhalten, weil er sie nicht beweisen könne“.

BGH, Urt. v. 14.06.1977, OLG Düsseldorf

 

Tatbestand

    Die Parteien wohnen im selben Haus; der Kläger ist der Schwiegersohn der Beklagten. Das Haus ist von einer gemeinnützigen Wohnstätten-Gesellschaft als Heimstätte ausgegeben; es gehört zur Hälfte der Beklagten und zur anderen Hälfte einer Erbengemeinschaft, an der neben der Beklagten auch die Ehefrau des Klägers und F.N., eine weitere Tochter der Beklagten, beteiligt sind.

    Am 18. Juni 1972 kam es zwischen den Parteien zu einer Auseinandersetzung. Hierüber hat die Beklagte gegenüber ihrer Tochter F.N. und der Wohnstätten-Gesellschaft angegeben, dabei sei der Kläger „gegen sie tätlich“ geworden und habe „mit erheblicher Brutalität auf sie eingeschlagen“. Mit dieser Begründung hat die Beklagte ferner dem Kläger sein Mietverhältnis fristlos gekündigt.

    Der Kläger macht geltend, die Behauptungen der Beklagten seien unwahr. Nicht er sei tätlich geworden, sondern die Beklagte habe mehrmals grundlos auf ihn mit einem Knüppel eingeschlagen. Mit der Klage verlangt er Widerruf dieser Behauptungen gegenüber der Wohnstätten-Gesellschaft und F.N., hilfsweise ihre Unterlassung.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, zu erklären, sie könne die Behauptungen „nicht aufrecht erhalten, weil sie sie nicht beweisen könne“.

    Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

    Das Berufungsgericht geht davon aus, daß den Kläger der Vorwurf der Beklagten in seinem persönlichen Ansehen getroffen habe und diese Wirkung auch jetzt noch fortdauere. Nach Ansicht des Berufungsgerichts muß der Kläger das nicht hinnehmen; es führt dazu aus: Zwar habe die Beklagte wegen der Erheblichkeit des Geschehens für die zivilrechtlichen Beziehungen der Parteien die übrigen Vermieter, ihre Tochter F.N. und den Ausgeber der Heimstätte, von Tätlichkeiten des Klägers benachrichtigen dürfen. Selbst wenn sich solche ereignet hätten, habe sie aber nicht – wie geschehen – den Eindruck erwecken dürfen, die Initiative dazu sei von dem Kläger ausgegangen; denn nach den Aussagen der vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen sei es erwiesen, daß sie selbst auf den Kläger eingeschlagen und dessen von ihr behaupteten Schläge zumindest provoziert habe. Der Kläger könne deshalb Widerruf der Behauptungen verlangen – dies allerdings nur in eingeschränkter Form; uneingeschränkter Widerruf könne der Beklagten nicht zugemutet werden, da nach den Zeugenaussagen nicht auszuschließen sei, daß der Kläger die Beklagte mißhandelt habe. Andererseits könne ebensowenig ausgeschlossen werden, daß bei der von der Beklagten begonnenen Prügelei sich der Kläger in den Grenzen der Notwehr gehalten habe; das rechtfertige immerhin die Verurteilung der Beklagten zum eingeschränkten Widerruf. Insoweit greife § 186 StGB ein, der dem Beleidiger das Risiko auferlege, die Wahrheit seiner ehrenkränkenden Behauptungen beweisen zu können.

    I.

    Gegenüber den Angriffen der Revision haben die Ausführungen des Berufungsgerichts keinen Bestand. Schon seinem Ausgangspunkt, daß der Betroffene Beschuldigungen der Art, wie sie hier erhoben worden sind, mit einer Widerrufsklage jedenfalls dann begegnen könne, wenn er ihre Unwahrheit bewiesen habe, kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden.

    Zwar bedarf es keiner näheren Ausführungen, daß der Vorwurf, auf die eigene Schwiegermutter, eine Frau von damals immerhin fast 73 Jahren, mit erheblicher Brutalität eingeschlagen zu haben, den Kläger herabsetzen mußte. Dies muß selbst bei voller Berücksichtigung des Umstandes bejaht werden, daß Näheres über das Vorgefallene und vor allem über seinen Anlaß nicht mitgeteilt ist, insoweit also für Mutmaßungen in jeder Richtung Raum gelassen war. Es entspricht auch gefestigten Rechtsprechungsgrundsätzen, daß niemandem ein rechtfertigendes Interesse daran zugebilligt werden kann, an ehrenkränkenden Behauptungen auch dann noch festzuhalten, wenn sie sich als unwahr herausgestellt haben (Senatsurteile vom 18. Juni 1974 – VI ZR 16/73 = NJW 1974, 1762 und vom 3. Juni 1975 – VI ZR 123/74 = NJW 1975, 1882, 1883 jeweils mwNachw).

    Gleichwohl kann, selbst bei Vorliegen dieser Voraussetzungen, nicht immer Widerruf der ehrverletzenden Vorwürfe verlangt werden, sondern nur dann, wenn dieser das geeignete Mittel ist, die Folgen der ehrverletzenden Beschuldigungen zu beseitigen. Das aber ist gerade dort, wo es wie vorliegend um Streitigkeiten zwischen Familienangehörigen und Hausgenossen geht, nicht immer der Fall.

    1. Allerdings kann es nicht schon rechtlich beanstandet werden, daß das Berufungsgericht nicht auf die besondere Problematik eines Ehrenschutzes gegenüber vertraulichen Mitteilungen im engeren Familienkreis (vgl Helle, Der Schutz der Persönlichkeit, der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 2. Aufl, S 31; ders NJW 1961, 1896, 1900; weitere Nachweise bei Herdegen in LK 9. Aufl § 185 Rdz 7), zu dem hier die Tochter der Beklagten F.N. zu rechnen ist, näher eingegangen ist (vgl auch BGHZ 10, 104). Insofern konnte das Berufungsgericht darauf verweisen, daß hier der Empfängerkreis der Vorwürfe nicht auf den engen Familienkreis beschränkt geblieben war, da die Beklagte auch den Heimstättenausgeber unterrichtet hatte.

    2. Der Fall gab aber Veranlassung zu prüfen, ob der Widerruf hier wirklich zur Beseitigung des Störungszustandes eingesetzt worden ist, oder ob ihn der Kläger nicht zu anderen Zwecken begehrt. Denn gerade letzteres kommt oft bei Streitigkeiten und Spannungen unter Familienmitgliedern, unter Hausgenossen oder in anderen ähnlich engeren Gemeinschaften in Betracht: Dann geht es dem Beleidigten, wenn er von dem Beleidiger Widerruf verlangt, häufig nicht darum, einer Ansehensminderung zu wehren; dieses Ziel könnte er meist genau so gut, wenn nicht besser, dadurch erreichen, daß er in derartigen Fällen seine eigene Darstellung von den Vorfällen persönlich bei dem Empfänger der beleidigenden Äußerungen anbringt, da dieser regelmäßig ebenfalls dem Einflußbereich und Erfahrungsbereich solcher internen Auseinandersetzungen nahesteht. Dann aber spricht mindestens zunächst alles dafür, daß die Widerrufsklage dazu benutzt wird, die andere Seite ins Unrecht gesetzt zu sehen und sich auf diese Weise Genugtuung zu verschaffen. Das dies nicht die Aufgabe des zivilrechtlichen Ehrenschutzes ist, liegt auf der Hand. Es würde das Persönlichkeitsrecht geradezu entwerten, wenn es auf diese Weise dazu benutzt werden könnte, die Zivilgerichte internen Querelen und persönlichen Rechthabereien dienstbar zu machen.

    Zwar ist selbstverständlich die Ehre auch in Auseinandersetzungen zwischen Familienangehörigen und Hausgenossen nicht geringer geschützt. Auch besteht kein Erfahrungssatz, aufgrund dessen in diesen Fällen ein solcher Gebrauch der Widerrufsklage zu vermuten ist. Aber der Richter hat, wo derartige interne Streitigkeiten die Widerrufsklage veranlassen, deren Voraussetzungen, zu denen vor allem ein legitimes Rechtsschutzbedürfnis gehört, besonders sorgfältig zu prüfen.

    a) So kann die Widerrufsklage zur Beseitigung oder Milderung einer Ansehensminderung ungeeignet sein, wenn es nur um Einzelheiten im Ablauf einer tätlichen Auseinandersetzung geht, an der aktiv teilgenommen zu haben dem Ruf des Klägers ohnehin schon geschadet hat. Denn dann wird die Richtigstellung einer falschen oder übertriebenen Darstellung des Beklagten über den Tatbeitrag des Klägers, mag diese auch den Tatbestand der Beleidigung erfüllt haben, den negativen Eindruck vom Verhalten des Klägers insgesamt nur unwesentlich abschwächen. Gerade das wird bei internen Auseinandersetzungen, die in die Öffentlichkeit getragen worden sind, oft der Fall sein; wer sie von einem der Beteiligten geschildert bekommt, stellt ohnehin in aller Regel bereits von sich aus in Rechnung, daß die Schilderung von den Spannungen getragen und einseitig gefärbt ist; er bildet sich sein Urteil eher nach dem Vorfall als solchem als nach dem ihm geschilderten „wie“ des Vorgefallenen. Das Verlangen nach Widerruf kann dann an jene Grenze geraten, wo es nur noch das Bedürfnis des Klägers nach Genugtuung befriedigt, was aber, wie erwähnt, keinesfalls Aufgabe dieses Rechtsbehelfs sein darf (vgl RGZ 148, 114, 122, 124; OGHZ 1, 182, 191ff = NJW 1949, 24; BGHZ 10, 104, 106; 31, 308, 320ff; vgl auch BVerfGE 28, 1, 9ff = NJW 1970, 651f; Weitnauer, Betrieb 1976, 1416).

    Schon unter diesem Gesichtspunkt hätte das Berufungsgericht Anlaß gehabt, in einer von Einzelheiten gelösten Gesamtbetrachtung des Geschehens sich damit auseinanderzusetzen, inwieweit der Kläger schon dadurch, daß er es überhaupt zu offenen Handgreiflichkeiten seiner hoch betagten Schwiegermutter kommen ließ, seinem Ansehen bereits in einem Maße selbst geschadet hatte, daß der negative Eindruck durch einen Widerruf der unrichtigen Darstellung über das Ausmaß seiner Beteiligung kaum abgeschwächt werden konnte.

    b) Wo es in derartigen Streitigkeiten um Behauptungen geht, mit denen auf bestehende rechtliche Beziehungen zwischen den Parteien Einfluß genommen werden sollte, oder die mit ähnlichem Sachbezug im Vorfeld einer gerichtlichen Auseinandersetzung aufgestellt worden sind, bedient sich der Kläger der Widerrufsklage oder Unterlassungsklage gelegentlich dazu, seine Stellung bei der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung vor Gericht zu verbessern. Das kann auch hier in Betracht kommen, entsprechend dem (angeblichen) Ziel der von der Beklagten erhobenen Vorwürfe, eine Beendigung ihres Mietverhältnisses mit dem Kläger herbeizuführen.

    Auch dazu kann der von der Rechtsprechung entwickelte bürgerlich-rechtliche Ehrenschutz nicht benutzt werden. Es ist anerkannt, daß in aller Regel der Betroffene gegenüber einem der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden ehrenkränkenden Vorbringen einer Partei oder eines Zeugen in einem schwebenden Verfahren Widerruf oder Unterlassung nicht fordern kann (Senatsurteile vom 14. November 1961 – VI ZR 89/59 = NJW 1962, 243; vom 13. Juli 1965 – VI ZR 70/64 = NJW 1965, 803; vom 3. Dezember 1968 – VI ZR 140/67 = VersR 1969, 256, 257; vom 24. November 1970 – VI ZR 70/69 = NJW 1971, 284; vom 14. November 1972 – VI ZR 102/71 = MDR 1973, 304). Aus den gleichen Gründen muß es ihm versagt werden, auf diese Weise solches Vorbringen in einem zukünftigen Verfahren zu verhindern oder zu entwerten (vgl Helle aaO S 124ff, 135; ders NJW 1958, 1524, 1525; 1961, 1896, 1898). Nicht nur müßte solches Vorgreifen auf ein anderes Verfahren mit der Kompetenzverteilung in der Rechtspflege in Konflikt geraten, sondern der Betroffene hat daran kein schutzwürdiges Interesse, da ihm die Rechtsordnung insoweit eigenständige Wege zur Wahrung seiner Belange eröffnet.

    II.

    Doch nötigt der Streitfall nicht dazu, diese Fragen abschließend zu entscheiden. Denn jedenfalls mußte das Widerrufsverlangen des Klägers angesichts des vom Berufungsgericht zugrundegelegten Beweisergebnisses erfolglos bleiben.

    1. Der Tatrichter hat die Möglichkeit, daß der Kläger auf die Beklagte eingeschlagen hat, weder ganz auszuschließen noch als weithin unwahrscheinlich zu qualifizieren vermocht. Dann fehlt es, wie das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den Rechtsprechungsgrundsätzen des erkennenden Senats richtig erkannt hat, an der Grundlage für einen uneingeschränkten Widerruf: Dieser setzt die Feststellung der Unwahrheit der inkriminierten Behauptungen voraus (BGHZ 37, 187).

    Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann aber bei solcher Sachlage auch kein abgeschwächter Widerruf verlangt werden, zu dem es die Beklagte hier verpflichten will. Dieser ist vielmehr an die Voraussetzung geknüpft, daß – wenn schon die Unwahrheit der Behauptung nicht festgestellt werden kann – so doch bei objektiver Beurteilung ernstliche Anhaltspunkte für die Wahrheit des Vorwurfs fehlen. Denn nur dann kann dem beklagten Angreifer die Erklärung zugemutet werden, er könne seine Behauptung nicht aufrecht erhalten (vgl BGHZ 37, 187, 190; 65, 325, 337; Senatsurteile vom 11. Januar 1966 – VI ZR 221/63 = NJW 1966, 647, 649; vom 3. März 1970 – VI ZR 115/68 = MDR 1970, 579 und vom 4. Juni 1974 – VI ZR 68/70 = VersR 1974, 1080, 1081). Wenn es aber, wie dies auch das Berufungsgericht hier ausdrücklich einräumt, durchaus möglich ist, daß die Behauptungen der Beklagten zutreffen, ist auch kein Raum für einen eingeschränkten Widerruf. Dagegen haben sich zwar im Schrifttum kritische Stimmen erhoben (vgl Rehbinder JZ 1963, 314, 317; Schlosser JZ 1963, 309, 310; Helle NJW 1962, 1813, 1814; ders NJW 1964, 841, 844; Erdsiek NJW 1963, 1965ff; Johannes JZ 1964, 317ff; Säcker MDR 1970, 893ff; Neumann-Duesberg in: Schulze Rechtsprechung zum Urheberrecht BGHZ Nr 171 S 15, 18). Der Senat hält jedoch an seinem Standpunkt fest (wie hier: Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht 2. Aufl S 359ff; ders JZ 1963, 131; Reinicke MDR 1962, 977, 978; Palandt/Thomas BGB 36. Aufl Einführung vor 823 Rdnr 9; Erman/Weitnauer, BGB, 6. Aufl Anh zu § 12 Rdn 44).

    Die Beweisregel des § 186 StGB, die unter Durchbrechung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zu einer Bestrafung wegen übler Nachrede führt, wenn die Wahrheit der Behauptung nicht bewiesen werden kann, veranlaßt nicht dazu, bei einem solchen Beweisergebnis auch einen zivilrechtlichen Widerruf zuzulassen, wenigstens einen solchen in eingeschränkter Form. Damit wird nicht für das Zivilrecht der Schutzgesetzcharakter des § 186 StGB und seine Stellung im negatorischen und deliktischen Ehrenschutz angetastet, sondern nur den Besonderheiten des Widerrufs als eines von der Rechtsprechung in Fortentwicklung der gesetzlichen Behelfe eigens für den zivilrechtlichen Ehrenschutz geschaffenen, eigenständigen Mittels zur Folgenbeseitigung Rechnung getragen. Diese liegen vor allem darin, daß von dem Beklagten die Erklärung verlangt wird, Unwahres behauptet zu haben (vgl dazu auch Senatsurt v 3. Mai 1977 – VI ZR 36/74; zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt). Im Bereich des zivilrechtlichen Ehrenschutzes muß die Schutzwürdigkeit des Begehrens des Verletzten auch an den persönlichkeitsrechtlichen Belangen des Verletzers gemessen werden. Auch wenn dieser nicht zu einem inneren Überzeugungswandel gezwungen werden kann, ihm vielmehr nachgelassen wird, solchem Anschein seines Widerrufs dadurch entgegenzutreten, daß er das rechtskräftige Urteil als Anlaß für seine jetzigen Erklärungen bezeichnet (vgl die Nachweise im soeben angeführten Senatsurteil vom 3. Mai 1977; BVerfGE 28, 1, 9ff = NJW 1970, 650ff), so ist damit für ihn noch nicht der Konflikt ausgeräumt, gegen eigenes Wissen und eigene Überzeugung Behauptungen aufgeben und – jedenfalls nach dem allgemeinen Verständnis der Empfänger seines Widerrufs – zugleich damit selbst auf eigenes Fehlverhalten hinweisen zu müssen. Dieser Konflikt beansprucht die Persönlichkeit des Widerrufenden in besonderer und besonders intensiver Weise; schon deshalb auch kommt ein Vergleich mit der Bestrafung des Beleidigers nach § 186 StGB nicht in Betracht. Er ist im Falle eines abgeschwächten Widerrufs zwar (um ein geringes) milder, bei richtiger Würdigung des Persönlichkeitsrechts des Widerrufenden gleichwohl weder nach Struktur noch Bedeutung anders geartet als der uneingeschränkte Widerruf: Denn auch die Erklärung, die früheren Behauptungen „nicht mehr aufrechterhalten zu können“, wird unbeschadet etwaiger Hinweise auf das den Widerruf zusprechende Urteil gemeinhin als (nunmehriges) Einverständnis der Unrichtigkeit früherer Behauptung gewertet. Das würde sich übrigens nicht ändern, wenn der eingeschränkte Widerruf immer schon bei Mißglücken des Wahrheitsbeweises zugelassen werden würde; im Gegenteil würde dann dieser Behelf in der Praxis weithin auch Funktionen des uneingeschränkten Widerrufs übernehmen und die Unterschiede zu ihm verschwinden lassen.

    2. Das Berufungsgericht glaubt, diesen Bedenken dadurch begegnen zu können, daß es dem (abgeschwächten) Widerruf hinzusetzt: “ … weil sie sie (die Behauptungen) nicht beweisen könne“. Auch insoweit kann aber dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden. Für solche (weitere) Modifizierung des Widerrufs ist schon deshalb kaum Raum, weil jede Hinzufügung einer „salvatorischen Klausel“ (so Neumann-Duesberg aaO) die Gefahr, daß der hier besonders empfindliche Aussagegehalt der Erklärung umschlägt in einen neuen Angriff auf das Ansehen des Beleidigten, nur schwer zu vermeiden sein wird, wie dies schon Reinicke aaO erkannt hat (vgl auch Hauß in seiner Anmerkung zu BGHZ 37, 187 in LM BGB § 1004 Nr 62). Darüberhinaus wird bei solcher Fassung der Erklärungsinhalt breiter; dieser umfaßt dann nach seinem Sinn eben auch die Aussage, der Widerrufende müsse nunmehr die Unwahrheit einräumen.

    Daß eine solche Zwangslage der Beklagten nur dann, wie das Berufungsgericht meint, zu berücksichtigen wäre, wenn sie ihre Behauptungen in Wahrnehmung berechtigter Interessen aufgestellt hätte, kann nicht zugegeben werden; das hat der erkennende Senat ebenfalls schon wiederholt ausgesprochen (BGHZ 37, 187, 190; Urteil vom 11. Januar 1966 – VI ZR 221/63 = aaO). Der Konflikt, dem die Beklagte durch den (abgeschwächten) Widerruf ausgesetzt wird und der eine Berücksichtigung auch ihres Persönlichkeitsrechts erfordert, ist von dem Anlaß, zu dem sie die inkriminierten Behauptungen aufgestellt hatte, nicht entscheidend abhängig. Vielmehr ist nach Auffassung des Senats solcher Konflikt nur zuzumuten, wenn bei unbefangener Betrachtung ersichtlich keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte durch den Widerruf zum Leugnen der Wahrheit gezwungen wird, bestehen. Davon kann jedoch, wie aufgeführt, bei der vorliegenden Fallgestaltung keine Rede sein.

    Durch solche Einschränkung wird weder § 186 StGB abgeändert, soweit an die Erfüllung eines Straftatbestandes zivilrechtliche Folgen geknüpft sind, noch wird der zivilrechtliche Ehrenschutz ungerechtfertigt verkürzt. Insbesondere behält die Beweisregel des § 186 StGB Bedeutung für den Ehrenschutz durch Unterlassung und Geldentschädigung. Lediglich für den Widerruf werden zusätzliche Anforderungen gestellt, die übrigens selbst für diesen Bereich die Beweisregel des § 186 StGB nicht ganz aufgeben, sondern nur der besonderen Konfliktslage anpassen, in der hier das Persönlichkeitsrecht beider Parteien in besonderer Weise konfrontiert ist.

    3. Somit ergibt sich, daß der Kläger einen Widerruf nicht, auch nicht in abgeschwächter oder, wie dies das Berufungsgericht tut, in eingeschränkter Form verlangen kann. Der Umstand, daß die Beklagte, wie das Berufungsgericht das Beweisergebnis würdigt, die Tätlichkeiten begonnen und die von ihr behaupteten Schläge des Klägers zumindest provoziert habe, rechtfertigt einen (abgeschwächten) Widerruf in Form einer Richtigstellung nicht. Insoweit ist nur das Geschehen in seinem konkreten Ablauf betroffen, dessen Richtigstellung im gegebenen Fall bei ungezwungener Betrachtung nicht geeignet sein kann, die sich schon aus dem Vorgefallenen als solchem ergebende Minderung im Ansehen des Klägers abzumildern (vgl oben I. 2a).

    III.

    Daraus folgt, daß das Landgericht die Widerrufsklage zu Recht abgewiesen hat. Ob der Kläger mit seinem im zweiten Rechtszug hilfsweise gestellten Unterlassungsbegehren durchdringt, hat das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, nicht geprüft. Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits bedarf es indes insoweit nicht, da aufgrund des Sachverhalts schon jetzt feststeht, daß dieser Hilfsantrag ebenfalls abgewiesen werden muß. Insoweit fehlt es an der erforderlichen Wiederholungsgefahr, weil die Beklagte sofort nach Einführung des Unterlassungsbegehrens erklärt hat, sie werde die Behauptungen nicht wiederholen, und sie in der Tat auch nicht wiederholt hat.