Gewinnübermittlung (BGH – I ZR 104/71)

Leitsatz   

Es verstößt gegen die Grundsätze des lauteren Wettbewerbs, die Gewinner eines Werbepreisausschreibens durch Verkaufsvertreter aufsuchen zu lassen, wenn dem Gewinner zwar mitgeteilt wird, er könne sich den Preis in bar auszahlen lassen, die Preisüberreichung aber zu einem Verkaufsgespräch genutzt wird, das den Gewinner dazu veranlassen soll, eine Bestellung unter Anrechnung des Gewinns auf den Kaufpreis aufzugeben.

BGH, Urt. v. 22.09.1972

 

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe – 9. Zivilsenat in Freiburg – vom 13. Mai 1971 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 
Tatbestand

    Die Klägerin ist ein rechtsfähiger Verein zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Die Beklagte betreibt ein Wäscheversandgeschäft. Sie veranstaltete im Jahre 1969 ein Preisausschreiben, bei dem die Teilnehmer einfache Fragen auf dafür vorgesehenen Formularen schriftlich zu beantworten hatten.

    An dem Preisausschreiben der Beklagten beteiligte sich auch die damals noch minderjährige Margarete K aus K. Einige Zeit nach Einsendung der Lösung erhielt sie von der Beklagten die Nachricht, sie habe 30 DM gewonnen. Kurze Zeit später erschienen bei ihr zwei Vertreter der Beklagten, die ihr freistellten, sich den Gewinn in bar auszahlen zu lassen oder Bettwäsche unter Anrechnung des Gewinnes auf den Kaufpreis zu bestellen. Das Verkaufsgespräch führte dazu, daß Margarete K eine 10teilige Aussteuergarnitur zum Preise von 199,50 DM bestellte. Die Beklagte hat auch in anderen Fällen die Gewinner von Preisausschreiben durch Verkaufsvertreter aufsuchen lassen, um die Überreichung der Preise zu einem Verkaufsgespräch zu nutzen.

    Die Klägerin hält die Art und Weise, in der die Beklagte die an sich zulässige Wettbewerbshandlung eines Preisausschreibens dazu benutze, sich Aufträge zu verschaffen, für unlauter im Sinne von § 1 UWG. Die Teilnehmer eines Preisausschreibens der Beklagten gingen davon aus, daß ihnen kleine Gewinne oder Trostpreise mit der Post zugesandt würden. Mit Vertreterbesuchen und der damit von der Beklagten betriebenen massiven Werbung rechneten sie nicht. Die Beklagte verschaffe sich durch ihre Methode der Preisübermittlung Zutritt zu den Wohnungen der Gewinner und übe auf diese einen psychologischen Kaufzwang aus.

    Die Klägerin hat beantragt,

    die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung einer für jeden Einzelfall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder Haftstrafe bis zu 6 Monaten zu unterlassen, selbst oder durch Beauftragte die Gewinner eines von ihr veranstalteten Preisausschreibens aufzusuchen oder aufsuchen zu lassen, um die Überreichung der Preise zu einem Verkaufsgespräch zu benutzen.

    Die Beklagte hat ihre Werbung als rechtmäßig verteidigt.

    Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

   
Entscheidungsgründe
   

    I. Das Berufungsgericht bezweifelt nicht die Zulässigkeit des von der Beklagten veranstalteten Preisausschreibens. Es hält aber die Art und Weise der Preisverteilung für wettbewerbsrechtlich unlauter. Die Gewinner würden dadurch, daß ihnen die Beklagte die Gewinne durch Verkaufsvertreter übermitteln lasse, in eine ungünstige psychologische Lage versetzt. Sie könnten die nicht erbetenen und ihnen unerwünschten Vertreter der Beklagten nicht ohne weiteres zurückweisen. Allein hierdurch verschaffe sich die Beklagte einen nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorteil. Außerdem falle es einem jedenfalls nicht unerheblichen Teil der Gewinner schwer, den Vertretern zu erklären, daß man zwar das Geld entgegennehmen wolle, jegliche Kaufgespräche aber ablehne. Die Gewinner stünden daher unter einem von der Beklagten ausgeübten psychologischen Kaufzwang; sie könnten die Entscheidung, ob sie sich den Gewinn auszahlen lassen oder eine Warenbestellung unter Anrechnung des Gewinns auf den Kaufpreis aufgeben wollten, nicht frei und unbeeinflußt von diesem Zwang treffen.

    II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet.

    1. Die Revision beanstandet zu Unrecht, daß das vom Berufungsgericht bestätigte Unterlassungsgebot zu weit gehe. Der Fall, daß sich die Tätigkeit der Vertreter auf die Aushändigung der Gewinne beschränkt, ohne daß sie zugleich für den Verkauf von Bettwäsche werben, wird hiervon nicht erfaßt, wie schon das Berufungsgericht klargestellt hat. Mit den Worten „um zu“ im Tenor des landgerichtlichen Urteils ist auch nicht etwa nur die innere Absicht der Verkaufsvertreter zur Führung eines Verkaufsgesprächs gemeint, sondern daß sie solche Gespräche anläßlich der Preisübermittlung auch tatsächlich führen, wobei es nicht darauf ankommen kann, wie im einzelnen auf das Verkaufsgespräch übergeleitet wird.

    2. Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß Preisausschreiben, die zu Zwecken des Wettbewerbs veranstaltet werden, nicht schlechthin unzulässig sind. Werbepreisausschreiben können jedoch dann unzulässig sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, die den Einsatz dieses Werbemittels als unlauter erscheinen lassen. Als besondere Umstände dieser Art sind beispielsweise ein übertriebenes Anlocken der Kunden, die Irreführung des Publikums oder die Ausübung eines psychologischen Kaufzwanges angesehen worden (vgl. BGH GRUR 1959, 138, 139 – Italienische Note; 1959, 544, 546 – Modenschau; 1967, 202, 203 – Gratisverlosung). Die Revision greift diesen Ausgangspunkt des Berufungsurteils als ihr günstig nicht an.

    3. Das Berufungsgericht sieht es zu Recht als einen wettbewerbswidrigen Begleitumstand der Preisausschreiben der Beklagten an, daß diese die Gewinner durch Verkaufsvertreter aufsuchen läßt und die Überreichung der Preise zu einem Verkaufsgespräch nutzt, um die Gewinner zur Aufgabe einer Wäschebestellung – unter Anrechnung des Gewinnes auf den Kaufpreis – zu veranlassen.

    a) Der Bundesgerichtshof hat über die Zulässigkeit unerbetener Vertreterbesuche bisher nur in besonders gelagerten Einzelfällen entschieden. So ist es beispielsweise wegen der damit verbundenen unzumutbaren Belästigung als sittenwidrig im Sinne von § 1 UWG angesehen worden, durch unbestellte Hausbesuche in die Individualsphäre des Umworbenen einzudringen (BGH GRUR 1955, 541 f – Bestattungsinstitut, GRUR 1967, 430 f – Grabsteinaufträge; BGHZ 56, 18, 19 f = GRUR 1971, 317 f – Grabsteinwerbung; vgl. dazu BVerfG GRUR 1972, 358, 360). Der Bundesgerichtshof hat weiter ausgesprochen, daß Vertreterbesuche nicht dazu führen dürfen, die freie Entschließung des Umworbenen derart zu beeinträchtigen, daß die Beeinflussung unter dem Gesichtspunkt des Leistungswettbewerbs als anstößig erscheint. Hierzu ist in einem Falle, der die Zusendung unbestellter Waren und die damit verbundene Ankündigung eines Vertreterbesuchs betrifft, ausgeführt worden: Der Empfänger der unbestellten Ware empfinde nicht nur die ihn treffende Aufbewahrungspflicht als besonders lästig. Bedeutsamer sei noch, daß er auf diese Weise genötigt werde, mit dem ihm angekündigten Vertreter in Verbindung zu treten, diesen also empfangen müsse, um jeglichen weiteren Verpflichtungen aus der unbestellten Sendung zu entgehen, oder doch jedenfalls in vielen Fällen glaube, hierzu verpflichtet zu sein; hierin liege ein entscheidender Unterschied zu anderen unerbetenen Vertreterbesuchen, die zwar oftmals auch als erhebliche Belästigung empfunden würden, auf die einzugehen, sei es auch nur durch Öffnen der Tür, aber niemand genötigt sei (BGH GRUR 1959, 277, 280 – Künstlerpostkarten). Als wettbewerbsrechtlich anstößig angesehen worden ist ferner in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Ausnutzung eines Überraschungseffekts, wie er gegeben sein kann, wenn Kaufinteressenten, die zunächst nur Werbematerial oder Aufklärung über ein bestimmtes Erzeugnis erbeten hatten, sogleich Vertreter ins Haus geschickt wurden (BGH GRUR 1968, 648 f – Farbbildangebot; 1971, 220 f – Schlankheitswerbung).

    b) Es kann entgegen der Auffassung der Revision nicht als rechtsfehlerhaft angesehen werden, daß das Berufungsgericht diese Rechtsgrundsätze bei der Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts herangezogen hat. Wer, wie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die minderjährige Margarete K, eine Gewinnmitteilung der Beklagten über 30 DM erhalten hat, fühlt sich in der Entscheidung, ob er den Vertreter, der ihm den Gewinn überbringen will, empfangen soll oder nicht, nicht mehr frei. Er wird in der Regel jedenfalls nicht umhin können, diesem Vertreter Einlaß zu gewähren. Dies gilt umso mehr, wenn es sich, wie hier, um ein Preisausschreiben handelt, in dem nur einfache Fragen zu beantworten waren und bei dem die Teilnahme daran völlig unentgeltlich war. Unabhängig davon, ob unter solchen Umständen noch von einer echten Auslobung mit einem Gewinnanspruch nach § 661 BGB gesprochen werden kann, wie die Revision meint, oder wie häufig bei zu Reklamezwecken veranstalteten Preisausschreiben nur ein „Spiel“ oder eine „Auslosung“ vorliegt (vgl. BGH GRUR 1959, 138, 139 – Italienische Note m. w. Nachw.), wird der Empfänger einer solchen Mitteilung den ihm zugesagten Preis häufig nur als ein Geschenk des Veranstalters empfinden, das ihn zu einem gewissen Entgegenkommen veranlaßt.

    Wie der Bundesgerichtshof wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, kann es wettbewerbswidrig sein, wenn die Gewinner eines Werbepreisausschreibens sich zwecks Abholung der Gewinne in die Geschäftsräume des Veranstalters begeben müssen (BGH GRUR 1959, 544, 546 – Modenschau). Für den vorliegenden Fall, daß dem Gewinner die Auseinandersetzung mit einem nicht erbetenen Verkaufsvertreter zugemutet wird, kann insoweit nichts anderes gelten. Vielmehr ist die Gefahr einer Beeinträchtigung der Entschließungsfreiheit des Umworbenen nach der Werbemethode der Beklagten gerade besonders groß. Daran ändert nichts, daß die Vertreter, wie festgestellt ist, zunächst zum Ausdruck bringen, der Gewinn könne auch in bar ausgezahlt werden. Selbst wenn der so Angesprochene diese Möglichkeit wählen will, steht es den Vertretern frei, das Gespräch alsbald auf die vorgegebenen oder wirklichen Vorteile eines Wäscheeinkaufs bei der Beklagten zu lenken. Die mit einem Preis von 30 DM bedachten Gewinner werden sich dem kaum entziehen können. Dies gilt jedenfalls für einen nicht unerheblichen Teil von ihnen, wie das Berufungsgericht rechtsirrtumsfrei festgestellt hat. Dieser Teil der Umworbenen wird aber auch während des Verkaufsgesprächs nicht von dem Gefühl frei sein, man sei anstandshalber verpflichtet, von dem Verkaufsangebot der Beklagten Gebrauch zu machen, anstatt sich allein nach der Güte und Preiswürdigkeit des Angebots zu entscheiden. Die Gefahr einer solchen unsachlichen Beeinflussung erscheint nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als so erheblich, daß es das Vorliegen eines sogenannten moralischen oder psychologischen Kaufzwanges, dessen Ausnutzung nach dem Anstandsgefühl der redlichen und verständigen Gewerbetreibenden gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstößt, zu Recht angenommen hat.

    Die Revision war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.