Ausübung der Heilkunde (BGH – I ZR 11/90)

a) Zur Frage der Prozeßführungsbefugnis eines Dachverbands.

b) Der Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 HeilprG unterfallen nach Wortlaut, Sinn und Zweck des § 1 Abs. 2 HeilprG nur solche Tätigkeiten, die die unmittelbare Beratung und Behandlung von Patienten auf dem Gebiet des Heilpraktikerwesens betreffen.
 

c) Auch Handlungen juristischer Personen, durch die auf Tätigkeiten im Sinne des § 1 Abs. 2 HeilprG fachlich Einfluß genommen wird, können Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 1 HeilprG sein; sie sind dann, da die Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG an juristische Personen wegen der persönlichkeitsgebundenen Qualifizierungsvoraussetzungen (§ 2 der 1. DVO zum HeilprG) nicht in Betracht kommt, in Ermangelung der erforderlichen Erlaubnis unzulässig.

(BGH, Urteil v. 5.12.1991, I ZR 11/90, OLG Hamm, LG Essen)

 

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. November 1989 aufgehoben.
 
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen vom 17. März 1989 wird zurückgewiesen.
 
Die Kläger tragen die Kosten beider Rechtsmittelverfahren.

 
Tatbestand:

 
Der Kläger zu 1 nimmt für sich in Anspruch, ein Zusammenschluß mehrerer kooperierender Heilpraktikerverbände zu sein. Der Kläger zu 2, ein Zusammenschluß von Heilpraktikern in Vereinsform, der dem Kläger zu 1 als Mitglied angehört und satzungsgemäß u.a. auch Wettbewerbsverstöße auf dem Gebiet des Heilwesens verfolgt, ist dem Rechtsstreit im Berufungsverfahren beigetreten.
 
Die Beklagte, eine GmbH, ist auf dem Gebiet des Heilpraktikerwesens tätig. Gegenstand ihres Unternehmens ist „die Anwendung naturheilkundlicher Verfahren und biologischer Therapien“ (vgl. den Registerauszug HRB 6572 AG E.). Sie bietet auch in ihrer Werbung unter dem Hinweis „Natürlich heilen“ chiropraktische Behandlungen an. Die Behandlungen nimmt tatsächlich der Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten vor; ihm ist die dazu erforderliche Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz (HeilprG) erteilt. Die Beklagte selbst ist nicht im Besitz einer behördlichen Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilprG.
 
Der Kläger zu 1 hat im Verhalten der Beklagten eine unerlaubte Ausübung der Heilkunde gesehen und diese als wettbewerbswidrig beanstandet; er hat die Beklagte auf Unterlassung der gewerbsmäßigen Vornahme chiropraktischer Behandlungen in Anspruch genommen.
 
Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
 
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
 
Im Berufungsrechtszug haben beide Kläger beantragt,
 
die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter gesetzlicher Ordnungsmittel zu verurteilen,
 
es zu unterlassen, gewerbsmäßig chiropraktische Behandlungen vorzunehmen,
 
hilfsweise:
 
gewerbsmäßig chiropraktische Behandlungen vornehmen zu lassen.
 
Die Beklagte hat die Meinung vertreten, daß sie keiner Erlaubnis gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG bedürfe, da sie die Heilkunde nicht selbst ausübe, sondern von Personen ausüben lasse, denen eine solche Erlaubnis erteilt sei.
 
Das Berufungsgericht hat die Beklagte nach dem Hauptantrag verurteilt.
 
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt und nunmehr neu vorträgt, der Kläger zu 1 habe, nachdem zwei andere ihm angehörende Heilpraktikervereine ihren Austritt erklärt hätten, lediglich noch den Kläger zu 2 zum Mitglied und sei auch deshalb nicht mehr als prozeßführungsbefugt anzusehen.
 
Die Kläger beantragen,  

 
die Revision zurückzuweisen.  

 
Sie tragen vor, daß die Kündigungen der beiden aus dem Kläger zu 1 ausgetretenen Verbände erst zum 31. Dezember 1991 wirksam würden und daß außerdem dem Kläger zu 1 zahlreiche weitere – im einzelnen namentlich benannte – Vereine von Heilpraktikern angehörten.

 
Entscheidungsgründe:

 
I. Das Berufungsgericht hat den Beitritt des Klägers zu 2 im Berufungsverfahren als Klageänderung angesehen und diese als sachdienlich zugelassen; die Klagebefugnis beider Kläger hat es bejaht.
 
Den geltend gemachten Unterlassungsanspruch hat das Berufungsgericht als gemäß § 1 UWG i.V. mit § 1 HeilprG begründet angesehen. Dazu hat es ausgeführt:
 
Die Ausübung der Heilkunde setze nach § 1 Abs. 1 HeilprG die entsprechende behördliche Erlaubnis voraus. Sei, wie vorliegend, eine juristische Person diejenige, die die gewerbliche Tätigkeit der Heilkunde ausübe, bedürfe diese wie die natürliche Person dazu der Erlaubnis. Die juristische Person stehe der natürlichen Person rechtlich gleich, sei mithin rechtlich genau so zu behandeln wie die natürliche Person. Daß die Beklagte selbst als juristische Person die praktische Leistung nicht erbringe, sondern durch eine natürliche Person erbringen lasse, spiele rechtlich keine Rolle. Die juristische Person handle stets nur durch natürliche Personen; deren Tätigkeit werde der juristischen Person als eigene zugerechnet, so daß – rechtlich gesehen – die juristische Person auch als die eigentlich Handelnde anzusehen sei. Daran ändere nichts, daß die juristische Person als solche den für die Erteilung einer Erlaubnis erforderlichen Nachweis der an die natürliche Person gebundenen Qualifikation (vgl. § 2 der 1. DVO zum HeilprG) nicht für sich selbst erbringen könne, mithin – zulässigerweise – nur durch ihre Organe, also entsprechend befähigte natürliche Personen handeln könne. Insbesondere werde dadurch die Erlaubnis für die juristische Person nicht entbehrlich.
 
Aus § 1 Abs. 2 HeilprG ergebe sich insoweit nichts Gegenteiliges. Die Geltung des Erlaubnisvorbehalts für den Fall, daß Heilkunde im Dienste eines Dritten ausgeübt werde, besage nicht, daß der das Gewerbe Betreibende selbst keine Erlaubnis benötige.
 
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
 
1. Keinen rechtlichen Bedenken begegnet allerdings, daß das Berufungsgericht auch den Kläger zu 1 als prozeßführungsbefugt gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 UWG angesehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind auch sogenannte Spitzenverbände, d.h. Zusammenschlüsse ausschließlich von Vereinen oder vergleichbaren juristischen Personen, zur Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche legitimiert, sofern eine hinreichende Verknüpfung des Satzungszwecks mit den gewerblichen Interessen der den Mitgliedsverbänden angehörenden Gewerbetreibenden besteht (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 30.11.1989 – I ZR 55/87, GRUR 1990, 617, 618 = WRP 1990, 488 – Metro III m.w.N.; ferner Großkomm/Erdmann, § 13 UWG Rdn. 51). Die Eigenschaft eines solchen Verbandes wird dem Kläger zu 1 von der Beklagten in der Revisionsinstanz zu Unrecht abgesprochen. Ungeachtet der vom Kläger zu 1 unwidersprochen vorgetragenen Tatsache, daß ihm eine Reihe anderer Verbände angehört, wird – was ebenfalls unbestritten ist – der von der Beklagten behauptete Austritt zweier Mitgliedsverbände erst zum 31. Dezember 1991 wirksam. Daß der Kläger zu 1, dessen Satzungszweck u.a. auf die Wahrnehmung der Interessen des Berufsstands und auch auf die Wahrnehmung gewerblicher Interessen der Heilpraktiker gerichtet ist, diesen Zweck auch tatsächlich verfolgt, ist auch in der Revisionsinstanz nicht widerlegt. Die Kläger haben Korrespondenz vorgelegt, aus der sich ergibt, daß ungeachtet der mittlerweile erklärten Kündigung zweier Mitgliedsverbände der Kläger zu 1 weiterhin Tätigkeiten entfaltet, die seinem Verbandszweck entsprechen.
 
2. Als rechtsfehlerhaft erweist sich jedoch die Beurteilung der sonach zulässigen Klage durch das Berufungsgericht als materiell begründet; denn den Klägern steht der vom Berufungsgericht aus § 1 UWG i.V. mit § 1 HeilprG hergeleitete Unterlassungsanspruch nicht zu.
 
a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß Heilkunde gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG nur mit einer Erlaubnis ausgeübt werden kann und daß dies gleichermaßen für die Ausübung der Heilkunde durch natürliche und juristische Personen gelten muß, soweit letztere selbst – was durch unmittelbare fachliche Einflußnahme auf Tätigkeiten i.S. des § 1 Abs. 2 HeilprG wie etwa bestimmte Behandlungsanordnungen und andere fachbezogene Weisungen geschehen kann – Heilkunde ausüben. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht seiner Beurteilung auch zugrunde gelegt, daß der Beklagten selbst keine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilprG erteilt worden ist und eine solche Erlaubniserteilung für eine juristische Person wegen der an natürliche Personen gebundenen Qualifikationsvoraussetzungen für die Erlaubnis (vgl. § 2 der 1. DVO zum HeilprG) auch nicht in Betracht kommen könnte.
 
Auch die Beurteilung der angegriffenen chiropraktischen Behandlungen als Akte der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 1 HeilprG begegnet keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BGH, Urt. v. 3.4.1981 – I ZR 41/80, GRUR 1981, 665, 666 = WRP 1981, 573 – Knochenbrecherin).
 
b) Als rechtsirrig erweist sich jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, bei diesen Behandlungen – die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von dem Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten, dem persönlich eine Erlaubnis gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG erteilt ist, in eigener fachlicher Verantwortung vorgenommen werden – handele es sich um Ausübung von Heilkunde durch die Beklagte selbst, für die diese eine Erlaubnis gemäß § 1 Abs. 1 HeilprG benötige.
 
Der Erlaubnispflicht nach dieser Bestimmung unterfallen nur solche Tätigkeiten, die die unmittelbare Beratung und Behandlung von Patienten auf dem Gebiet des Heilpraktikerwesens betreffen. Dies folgt sowohl aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 HeilprG und aus der amtlichen Begründung dazu als auch aus dem Schutzzweck des Gesetzes.
 
Der Wortlaut der genannten Vorschrift schließt es aus, als Ausübung der Heilkunde auch schon – worauf die Revisionserwiderung abstellen möchte – den vorliegend in die Zuständigkeit der Beklagten fallenden Abschluß von Behandlungsverträgen anzusehen, da es sich hierbei noch nicht um eine Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung im Sinne des § 1 Abs. 2 HeilprG, sondern lediglich um die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für solche Tätigkeiten handelt. Auch dadurch, daß die Beklagte sich der Person, die die chiropraktischen Behandlungen vornimmt, als Erfüllungsgehilfen in ihrem Verhältnis zu den Patienten bedient, wird sie – insoweit abweichend von Erlaubnisregelungen in anderen Gesetzen (vgl. BGHZ 98, 330 ff. – Unternehmensberatungsgesellschaft I; BGH, Urt. v. 24.6.1987 – I ZR 74/85, GRUR 1987, 714 = WRP 1987, 726 – Schuldenregulierung) – nicht ohne weiteres selbst der Erlaubnispflicht des § 1 Abs. 1 HeilprG unterworfen. Die Bestimmung des § 1 Abs. 2 HeilprG sieht vor, daß derjenige, der solche Behandlungen im Dienste von anderen vornimmt, selbst der Erlaubnis bedarf, und in der amtlichen Begründung wie in der an sie anschließenden Literatur (vgl. Kahler, RVerwBl. 1939, 183 f.; Kallfelz, DR 1939, 692 und Erbs/Kohlhaas/Pelchen, HeilprG (H 54) § 1 Anm. 9) werden als „andere“ im Sinne dieser Bestimmung „Vereinigungen, Firmen oder andere Personen“ aufgezählt, woraus ersichtlich ist, daß der Gesetzgeber eine Erlaubnis auch für den Dienstgeber des „fachlich eigenverantwortlich“ behandelnden Heilpraktikers nicht für erforderlich gehalten hat; denn anderenfalls wäre die Nennung insbesondere von „Firmen“ sowie die von Kahler aaO erwähnte Bildung von „Vereinigungen, die durch von ihnen angestellte Heilpraktiker ihre Mitglieder behandeln lassen“, nicht verständlich.
 
Eine über den Gesetzeswortlaut und über die Absicht des Gesetzgebers hinausgehende Auslegung des Erlaubniszwangs wird auch nicht durch den Schutzzweck des Heilpraktikergesetzes geboten. Dieser besteht darin sicherzustellen, daß die Heilkunde nicht durch Personen ohne Erlaubnis ausgeübt wird, soweit diese Tätigkeit Gefahren für die Volksgesundheit mit sich bringt (vgl. BGH aaO – Knochenbrecherin). Gefahren für die Gesundheit gehen jedoch allein von denjenigen aus, die die Heilbehandlungen selbst aktiv und fachlich eigenverantwortlich ausüben oder in solche Behandlungen in fachlicher Hinsicht – durch Weisungen oder in anderer Weise – eingreifen. Solange die Beklagte – wie vorliegend – nicht selbst unmittelbar auf die nicht von ihr vorgenommenen chiropraktischen Behandlungen – etwa durch eigene Indikationsstellungen und Behandlungsanordnungen bzw. andere Weisungen fachlicher Art – Einfluß nimmt, besteht daher auch nach dem Schutzzweck des Heilpraktikergesetzes keine Veranlassung, sie selbst als erlaubnispflichtig anzusehen. Auch auf die von der Revisionserwiderung angesprochenen Risiken anderer Art – etwa auf haftungsrechtliche Folgen – kommt es für die Auslegung des § 1 Abs. 1 HeilprG nicht an, weil es sich insoweit nicht um Risiken spezifisch gesundheitlicher Art handelt, sondern um vermögensrechtliche Konsequenzen, die außerhalb des gesundheitsorientierten Schutzzwecks des Heilpraktikergesetzes liegen.
 
c) Das Berufungsgericht hat somit rechtsfehlerhaft angenommen, daß die Beklagte einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 HeilprG bedürfe und demgemäß gegen § 1 UWG verstoße, wenn sie – wie vorliegend – selbst Heilkunde durch eigene heilfachbezogene Tätigkeit nicht ausübt, sondern durch fachlich unabhängige Personen, denen die Erlaubnis erteilt ist, ausüben läßt. Auch der Hilfsantrag der Kläger erweist sich damit als unbegründet.
 
III. Auf die Revision der Beklagten ist daher das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das landgerichtliche Urteil zurückzuweisen.
 
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.