Tchibo/ Rolex I (BGH – I ZR 128/82)

Zur Sittenwidrigkeit der Imitation exklusiver Uhren unter dem Gesichtspunkt der Ausnutzung fremden Rufs zur Förderung des eigenen Absatzes an Billiguhren.

BGH, I ZR 128/82 – 08.11.1984

 

Tatbestand:

Die Kl. ist die deutsche Tochtergesellschaft der Rolex S. A. mit Sitz in der Schweiz. Zu den von dieser hergestellten Uhren gehören die Herrenarmbanduhr 16013 und die Damenarmbanduhr 6917/3. Beide Uhren sind mit dem ‚Rolex-Jubile-Armband‘ in einer Stahl-Gold-Ausführung versehen. Die Herrenarmbanduhr wird seit dem Jahre 1945, die Damenarmbanduhr seit 1954 unverändert hergestellt. Der inländische Geschmacksmusterrechtsschutz für diese Uhren ist im Jahr 1972 abgelaufen. Die unverbindliche Preisempfehlung betrug bei Klageerhebung für das Herrenmodell 4650 DM und für das Damenmodell 3250 DM.

Die Bekl. ist eine Kaffee-Großrösterei mit etwa 500 Filialen und 7000 Depot-Geschäften. Sie vertreibt über ihr Vertriebsnetz neben den Kaffee-Produkten von Fall zu Fall auch branchenfremde Waren, u. a. Uhren. Im Sommer 1980 vertrieb sie unter der Bezeichnung ‚Royal-Calendar‘ Damen- und Herrenarmbanduhren zum Preis von je 39,95 DM. Diese Uhren haben ein den genannten Uhren der Kl. sehr ähnliches Aussehen. Die Kl. sieht in diesen Royal-Armbanduhren eine sittenwidrige Nachahmung ihrer Modelle 16013 und 6917/3.

Sie macht geltend, diese Modelle hätten ein charakteristisches Design, das sich bei den beteiligten Verkehrskreisen als Herkunftshinweis durchgesetzt habe. Diese beiden Modelle machten 40 % des Stück-Umsatzes und 25 % des Wert-Umsatzes ihrer Oyster-Modelle aus; der Umsatz aller dieser Modelle entspreche 95 % des Gesamtumsatzes. Sie habe in den letzten 10 Jahren für Werbung im Inland einen achtstelligen Betrag ausgegeben, der zum größten Teil auf diese Modelle entfallen sei. Die Bekl. habe sich mit den Royal-Uhren nicht bewußt an das Styling der beiden Rolex-Modelle angelehnt, sondern habe in ihrer Werbung auch ausdrücklich auf diese Ähnlichkeit hingewiesen und teilweise ihre Uhren genau so bezeichnet. Die Aktion der Bekl. habe bei ihr, der Kl., einen Verkaufsausfall bewirkt, der gemessen an der zu erwartenden Absatzentwicklung bei der Damenuhr 64,2 % und bei der Herrenuhr 48 % betragen habe.

Die Kl. hat beantragt, der Bekl. zu untersagen, Herren- und Damenarmbanduhren mit dem Bildzeichen der stilisierten Lilie, bei denen das Uhrenglas von einer grob gerippten Lünette umgeben ist und die Glieder des Armbands in der Weise in fünf Reihen nebeneinander angeordnet sind, daß jeweils eine breitere äußere Reihe drei schmalere, gleichbreite Gliedreihen einschließt, in Verkehr zu bringen und dafür zu werben.

Sie hat ferner Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Bekl. begehrt.

Das LG hat der Klage stattgegeben.

Auf die Berufung hat das BerGer. die Klage abgewiesen.

Die Revision der Kl. führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe:

 
I. Das BerGer. hat ausgeführt: Ein Unterlassungsanspruch der Kl. aus § 1 UWG sei nicht gegeben. Die beanstandeten Royal-Armbanduhren und die Rolex-Modelle 16013 und 6917/3 stimmten zwar in der Formgestaltung des Gehäuses und des Armbandes nahezu völlig überein und wiesen in der Gestaltung des Zifferblattes und der Aufzugskrone große Ähnlichkeiten auf; dies rechtfertige aber noch keinen Unterlassungsanspruch. Da die Modelle der Kl. keinen Sonderrechtsschutz hätten, sei ihr Nachbau zulässig, sofern nicht besondere Umstände dieses Verhalten als sittenwidrig erscheinen ließen.

Solche besonderen Umstände seien nicht gegeben. Eine vermeidbare Herkunftstäuschung komme nicht in Betracht, da die Modelle der Kl. keine ausreichende Eigenart hätten. Eine Vielzahl anderer Uhren wiesen nahezu identische Formelemente auf wie die beiden betroffenen Rolex-Modelle. Es sei auch keine Ausbeutung des guten Rufs der Uhren dargetan; denn die behaupteten Einzelfälle, in denen beim Verkauf der Royal-Uhren auf Rolex hingewiesen worden sein soll, ließen noch nicht auf eine allgemeine Absicht der Bekl. schließen, den guten Ruf der Kl. auszubeuten.

Der Bekl. sei auch keine Schädigung des Ansehens der Kl. anzulasten. Wenn bei einigen Rolex-Kunden der Eindruck entstanden sei, daß die Kl. die Exklusivität ihrer Produkte durch eine Billig-Zweitmarke abwerte, so sei dies nur der Zorn über das Erscheinen einer billigeren Imitation; davor schütze das UWG nicht.

Die Bekl. habe auch nicht zu Lasten der Kl. den Markt für Uhren mit den genannten Formelementen verstopft; denn sie spreche gänzlich andere Käuferschichten an als die Kl. Dieser entgehe lediglich die kleine Käuferschicht, der es allein auf das exklusive Image, nicht aber die Qualität der Rolex-Uhren ankomme; es sei aber nicht dargelegt, daß dies der wesentliche Abnehmerkreis der Kl. sei. Eine Irreführung i. S. von § 3 UWG entfalle, da die übernommenen Formelemente Allgemeingut seien und daher keinen Herkunftshinweis auf die Kl. geben könnten.

II. Die hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg.

1. Das BerGer. hat zu Unrecht angenommen, daß die fast identische Nachahmung der Rolex-Modelle 16013 und 6917/3 durch die Bekl. keinen Verstoß gegen § 1 UWG darstelle. Es ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß die Übernahme einer Gestaltungsform, die nicht oder nicht mehr durch ein Sonderschutzrecht geschützt ist, regelmäßig nur dann als Ausnutzung fremder Leistung wettbewerbswidrig ist, wenn über die Nachahmung hinaus unlautere Begleitumstände hinzutreten; auch eine etwaige Verwechslungsgefahr ist an sich grundsätzlich hinzunehmen, wenn keine weiteren, die Wettbewerbswidrigkeit begründenden Merkmale gegeben sind (st. Rspr., vgl. BGH, LM § 1 UWG Nr. 390 = GRUR 1983, 377 (378 f.) – Brombeer-Muster).

Das Vorliegen derartiger zusätzlicher Merkmale hat das BerGer. im vorliegenden Fall zu Unrecht verneint. Es hat verkannt, daß hier eine schutzwürdige wettbewerbliche Eigenart der nachgeahmten Modelle anzunehmen ist und daß die Nachahmung durch die Bekl. eine unlautere Rufausbeutung und -schädigung darstellt.

2. Die Annahme einer schutzwürdigen wettbewerblichen Eigenart setzt voraus, daß die Modelle Merkmale aufweisen, die geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft oder auf die Besonderheit der Erzeugnisse hinzuweisen. Dabei kommt es nicht auf die Neuheit oder schöpferische Eigentümlichkeit der fraglichen Gestaltung an; denn der musterrechtliche Eigentümlichkeitsbegriff deckt sich nicht mit dem der wettbewerblichen Eigenart (st. Rspr., vgl. BGH, WRP 1976, 370, 372 – Ovalpuderdose – und BGH, GRUR 1984, 597 f. – vitra programm). Gleichwohl können aber auch Merkmale, die im Bereich des Ästhetischen liegen, der Ware eine wettbewerblich eigenartige Besonderheit verleihen (vgl. BGH, LM § 1 UWG Nr. 407 = GRUR 1984, 453 f. – Hemdblusenkleid) und darüberhinaus die Eignung besitzen, als Herkunftshinweis zu dienen. Hiervon ist auch das BerGer. ausgegangen. Es hat angenommen, daß die Modelle der Kl. eine Kombination von Merkmalen aufweisen, die ihnen an sich eine ausreichende Besonderheit verleihen könnten. Hierfür hat es folgende Merkmale aufgeführt: das Oyster-Gehäuse, die goldfarbene, grob gerippte Lünette, die goldfarbenen Stundenzeichen des Zifferblattes, die Datumsanzeige im Zifferblatt, das Uhrenglas mit darauf befindlicher Lupe, die Aufzugskrone mit relief-artig abgehobener Rolex-Krone, der geriffelte Gehäuseboden und das Metallarmband, dessen Glieder in der Weise in fünf Reihen nebeneinander angeordnet sind, daß jeweils eine breite äußere Reihe drei schmalere, gleichbreite Gliederreihen einschließt.

Das BerGer. ist ohne Rechts-fehler davon ausgegangen, daß diese Merkmale zusammen eine eigenartige, einprägsame Gestaltungsform ergeben können. Es hat jedoch zu Unrecht gemeint, daß eine schutzwürdige wettbewerbliche Eigenart deshalb nicht mehr angenommen werden könne, weil in den Jahren 1979 bis 1980 vier Versandhäuser und einige andere Anbieter Uhren vertrieben haben, die die genannten Gestaltungsmerkmale einzeln oder in Kombination aufweisen; denn dies läßt entgegen der Auffassung des BerGer. noch nicht den Schluß zu, daß im Zeitpunkt der Verkaufsaktion der Bekl. im Sommer 1980 die Form der kl. Modelle bereits Allgemeingut gewesen sei und daher keine Hinweisfunktion zugunsten der Kl. gehabt haben könne. Es ist nach der Lebenserfahrung nicht gerechtfertigt, allein aufgrund des Angebots ähnlicher Uhrenformen in den Jahren 1979 und 1980 den Schluß zu ziehen, daß die betreffende Gestaltungsform auch in den vorangegangenen Jahren in gleicher Breite vorhanden gewesen sei. Hierzu hätte es vielmehr konkreter Anhaltspunkte bedurft. Kann demnach nur von dem Angebot ähnlicher Formen in den Jahren 1979 und 1980 ausgegangen werden, so steht dies der Annahme einer wettbewerblichen Eigenart nicht entgegen. Einmal erscheint es bereits aus Rechtsgründen bedenklich, solche Nachahmungen, die fast gleichzeitig mit der hier beanstandeten Übernahme erfolgten, als entgegenstehend anzusehen. Dann würde nämlich bei mehreren etwa gleichzeitigen Nachahmungshandlungen dem Betroffenen die Möglichkeit zur rechtlichen Gegenwehr genommen, weil jeder der Nachahmer auf die allgemeine Verbreitung der betreffenden Gestaltungsform durch die anderen Nachahmer verweisen könnte. Im vorliegenden Fall sprechen aber auch die konkreten tatsächlichen Umstände für das Fortbestehen der wettbewerblichen Eigenart. Für die Annahme einer wettbewerblichen Eigenart kommt es insbesondere darauf an, ob die betreffende Gestaltung in den interessierten Verkehrskreisen als Hinweis auf den Anbieter oder die Ware dienen kann. Wie das BerGer. festgestellt hat, wendet sich die Kl. unter anderem an die Nachfrager nach einer wertvollen, präzisen Uhr, die den Träger aus dem Kreis einer Vielzahl seiner Mitbürger heraushebt. Da diese Käufer davon ausgehen, daß Dritte die Modelle als hochwertige Luxusuhr erkennen, ist anzunehmen, daß sie selbst und ein Teil der Personen, unter denen sie sich bewegen, die feste Vorstellung haben, daß es sich um die typische Gestaltungsform einer Luxusuhr handelt. Es ist nach der Lebenserfahrung nicht anzunehmen, daß eine so gefestigte Hinweisfunktion bereits durch die ersten Angebote von mehr oder weniger ähnlichen Formen in Versandhauskatalogen oder bei anderen Anbietern einfacher Uhrenmodelle verloren geht. Vielmehr ist den betreffenden Modellen auch weiterhin eine schutzwürdige wettbewerbliche Eigenart zuzuerkennen.

3. Die Übernahme der wettbewerblichen Eigenart hat zur Folge, daß die Nachahmungen der Bekl. für echte Luxusuhren gehalten werden können. Nach den Feststellungen des BerGer. besteht die Gefahr der Täuschung zwar nicht bei den Käufern der Modelle der Bekl., wohl aber bei dem Publikum, das bei den Käufern die Nachahmungen sieht und zu irrigen Vorstellungen über die Echtheit verleitet wird. Die sich daraus ergebende Möglichkeit, mit der billigen Nachahmung die Wirkung einer typischen Luxusuhr erreichen zu können, appelliert an das Prestigedenken der Käufer und lockt mit dem von der Kl. für diese Gestaltungsform geschaffenen Image zum Kauf an. Die Bekl., die sich dies zu-nutze macht, hängt sich damit an den Prestigewert und guten Ruf der betreffenden Modelle an. Dieses Verhalten widerspricht den guten Sitten im Wettbewerb. Dabei ist entgegen der Ansicht des BerGer. nicht darauf abzustellen, ob aus dem UWG ein Schutz der Besitzer von echten Modellen gegenüber der Relativierung ihres Prestigezuwachses durch Billignachahmungen hergeleitet werden kann. Abzustellen ist vielmehr darauf, daß es sich um das Anhängen an den Prestigewert und guten Ruf eines fremden Erzeugnisses handelt, um den Verkauf der eigenen billigen Nachahmung zu fördern. Ein solches Anhängen und Ausnutzen des fremden Rufes durch eine in den äußeren kennzeichnenden Merkmalen nahezu identische Ware ist wettbewerbswidrig, und zwar unabhängig davon, ob eine betriebliche Herkunftstäuschung eintritt.

Unter diesen Umständen bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob das Verhalten der Bekl. auch unter dem von der Kl. geltendgemachten Gesichtspunkt als sittenwidrig zu beurteilen ist, daß dadurch der in langer Zeit systematisch aufgebaute Ruf der Exklusivität dieser Uhren zerstört werden kann, ohne daß dafür eine Rechtfertigung aus dem Gedanken des Leistungswettbewerbs geltendgemacht werden könnte.

4. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist somit nach § 1 UWG gerechtfertigt. Wie das LG ausgeführt hat, ist die Bekl. ferner gem. § 1 UWG zum Schadensersatz verpflichtet. Das Verschulden der Bekl. ergibt sich daraus, daß sie bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt damit hätte rechnen müssen, daß ihr Verhalten in Widerspruch zu den guten Sitten im Wettbewerb steht.

Da die Kl. zur Bezifferung ihres Schadensersatzanspruchs der begehrten Auskunft bedarf, ist auch der geltend gemachte Auskunftsanspruch begründet.