Mietwagen-Mitfahrt (BGH – I ZR 230/86)

Leitsatz

    1. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Hauptsacheklage entfällt nicht notwendigerweise dadurch, daß im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens der Antragsgegner den Verzicht auf das Recht zur Erzwingung der Hauptsacheklage erklärt hat.

    2. Zum Nachweis von Verstößen gegen PBefG § 49 Abs 4 durch Testfahrten.

Orientierungssatz

Zur Frage rechts- oder wettbewerbswidrigen Verhaltens des Wettbewerbers/der Testpersonen des Wettbewerbers beim Nachweis von Rechtsverstößen im Mietwagenverkehr und der rechtsmißbräuchlichen Geltendmachung des wettbewerblichen Unterlassungsanspruchs.

BGH, Urt. v. 09.11.1988,  OLG Karlsruhe, LG Karlsruhe

 

Tatbestand

    Die Klägerin ist eine Vereinigung K. Taxi-Unternehmen, die die wirtschaftliche Förderung und Betreuung ihrer Mitglieder zum Ziele hat. Die Beklagte betreibt ein Mietwagenunternehmen mit Sitz in M. (Raum K.).

    Die Klägerin hat vorgetragen, Fahrer von Mietwagen der Beklagten hätten in einer Reihe im einzelnen näher beschriebener Fälle in der Zeit zwischen dem 4. Oktober 1984 und dem 8. November 1984 die Pflicht verletzt, nach Ausführung von Beförderungsaufträgen unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren; in einem Fall sei gegen das Verbot verstoßen worden, einen Beförderungsauftrag dann auszuführen, wenn er nicht am Betriebssitz des Unternehmens eingegangen sei.

    Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe damit gegen die Pflichten verstoßen, die ihr als Mietwagenunternehmen in § 49 Abs. 4 PBefG auferlegt seien; hierdurch habe sie sich zugleich wettbewerbswidrig im Sinne von § 1 UWG verhalten.

    Die Klägerin hat beantragt,

    der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu untersagen,

    1.     im Raume Karlsruhe Beförderungsaufträge mit Mietwagen auszuführen, die nicht an ihrem Betriebssitz oder bei einer Funkzentrale, an der sie vertraglich angeschlossen ist, eingegangen sind;

    2.     nach Ausführung eines Beförderungsauftrages mit einem Mietwagen nicht unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren, es sei denn, sie hat vor der Fahrt von ihrem Betriebssitz oder der Wohnung oder während der Fahrt durch Funk einen neuen Beförderungsauftrag erhalten.

    Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe Verstöße der Fahrer der Beklagten gegen § 49 Abs. 4 PBefG nicht ausreichend nachgewiesen; sie sei nämlich auch beweispflichtig dafür, daß keine der gesetzlichen Ausnahmen von der Rückkehrpflicht vorgelegen hätten. Im übrigen beständen gegen die den Mietwagenunternehmen in § 49 Abs. 4 PBefG auferlegten Beschränkungen durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken.

    Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

    Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

    1. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung der Beklagten nach dem Klageantrag zu 1. bestätigt, da diese gegen das Verbot des § 49 Abs. 4 Satz 2 PBefG verstoßen habe, nur solche Fahrtaufträge anzunehmen, die entweder an ihrem Betriebssitz oder in einer angeschlossenen Funkzentrale eingegangen sind.

    a) Die Revision wendet sich ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Klageantrag bejaht hat. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, daß das Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen ist, daß die Beklagte in Bezug auf einen gleichlautenden Urteilsausspruch im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens den Verzicht auf das Recht zur Erzwingung der Hauptsacheklage erklärt hat. Das Rechtsschutzbedürfnis wäre dadurch nur entfallen, wenn die Klägerin aufgrund dieses Verzichts in derselben Weise gesichert wäre, wie durch ein Urteil in der Hauptsache. Dies ist jedoch nicht der Fall; denn die Beklagte hat mit diesem begrenzten Verzicht sich das Recht vorbehalten, sonstige Einwendungen vorzubringen. Sie hat inzwischen auch die Aufhebung des betreffenden Urteilsspruchs wegen Ablaufs der Vollziehungsfrist und wegen veränderter Umstände nach § 927 ZPO beantragt. Die Klägerin hat daher ein berechtigtes Interesse daran, im Hauptsacheverfahren einen Titel zu erlangen, der solchen Angriffen nicht ausgesetzt ist.

    b) In der Sache hat das Berufungsgericht festgestellt, daß eine Fahrerin der Beklagten am 8. November 1984 zwei Taxifahrer, die zuvor keinen Mietwagen bestellt hatten, befördert habe. Es hat darin einen Verstoß gegen § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG gesehen.

    Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Fahrerin der Beklagten hat mit der Durchführung dieser Fahrt, bei der es an einem am Betriebssitz oder bei der Funkzentrale der Beklagten eingegangenen Auftrag fehlte, eine Ordnungswidrigkeit begangen (§§ 49 Abs. 4 Satz 2, 61 Abs. 1 Nr. 3g PBefG). Dies gilt auch dann, wenn man von der Darstellung der Fahrerin ausgeht, wonach sie eine besondere Dringlichkeit dieser Fahrt angenommen hat; denn die hierzu dargelegten Umstände reichen nicht aus, um dem ordnungswidrigen Verhalten der Fahrerin die Rechtswidrigkeit oder Vorwerfbarkeit zu nehmen. Entgegen der Auffassung der Revision kommt insbesondere kein rechtfertigender Notstand im Sinne von § 16 OWiG in Betracht. Ein solcher Notstand ist nur gegeben, wenn eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut abgewendet werden soll. Es ist nicht dargetan, daß die Fahrerin eine solche Gefahrenlage angenommen hätte.

    Ohne Erfolg macht die Revision geltend, daß sich die Klägerin auf das ordnungswidrige Verhalten der Mietwagenfahrerin nicht berufen könne, weil – wie sie meint – die Testpersonen die Fahrerin erst zu ihrem Tun angestiftet und damit selber ordnungswidrig gehandelt hätten. Rechtlich ist zwar in Betracht zu ziehen, daß die Berufung auf einen Gesetzesverstoß – wie hier zur Rechtfertigung einer auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsklage – rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB) sein kann, wenn das den Gesetzesverstoß auslösende Verhalten der Testpersonen nicht so sehr auf einem Interesse am Test beruht, sondern in erster Linie darauf abzielt, den Mitbewerber „reinzulegen“, oder wenn besondere Mittel angewendet werden, um ein unzulässiges Geschäft herbeizuführen. Hierunter fallen insbesondere in den Bereich der Strafbarkeit reichende oder anderweit verwerfliche Mittel, unter anderem auch die Anwendung besonderer Verführungskünste (vgl. BGHZ 43, 359 – Warnschild; BGH, Urteile v. 2.4.1965 – Ib ZR 71/63, GRUR 1965, 607, 609 – Funkmietwagen, v. 19.12.1984 – I ZR 181/82, GRUR 1985, 447, 450 – Provisionsweitergabe durch Lebensversicherungsmakler und v. 3.11.1988 – I ZR 231/86 – Mietwagen-Testfahrt).

    Jedoch ist eine Sachlage, die eine solche Beurteilung rechtfertigte, nach den getroffenen Feststellungen im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere kann nicht angenommen werden, daß die Testpersonen die Fahrerin des Mietwagens zu der von ihr begangenen Ordnungswidrigkeit angestiftet hätten. Das Berufungsgericht hat dazu festgestellt, daß die betreffende Fahrerin in der August-Bebel-Straße die Zeugen L. und Z., welche zuvor keinen Mietwagen bestellt hatten, auf ihre Bitte hin in den Mietwagen der Beklagten aufgenommen und nach Kn. gefahren habe. Das rechtfertigt nicht den Schluß, daß die Testpersonen die Mietwagenfahrerin zu einem Verhalten bestimmt hätten, zu dem diese nicht ohnehin bereit war. Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe den Sachvortrag der Beklagten und die Beweisaufnahme nicht ausgeschöpft (§ 286 ZPO). Damit kann die Revision keinen Erfolg haben. Wie die Ausführungen des Berufungsgerichts zeigen, hat es die Aussage der Zeugen auch unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Widersprüche im einzelnen gewürdigt. Das läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

    2. Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung nach Nr. 2 des Klageantrages wendet, d.h. gegen das Verbot, nach Ausführung eines Beförderungsauftrages mit einem Mietwagen nicht unverzüglich zum Betriebssitz zurückzukehren, es sei denn, die Beklagte hat vor der Fahrt von ihrem Betriebssitz oder der Wohnung oder während der Fahrt durch Funk einen neuen Beförderungsauftrag erhalten.

    a) Der Einwand der Beklagten, der Urteilstenor sei nicht ausreichend bestimmt greift nicht durch. Das Unterlassungsgebot ist zwar grundsätzlich auf die konkrete Verletzungsform abzustellen und bestimmt zu fassen; dabei ist jedoch eine gewisse Verallgemeinerung zulässig, wenn dabei das Charakteristische des festgestellten konkreten Verletzungstatbestandes zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Urt. v. 13.7.1979 – I ZR 138/77, GRUR 1979, 859 – Hausverbot II, m.w.N.). An diese Grenzen hat sich das Berufungsgericht gehalten. Dem steht nicht entgegen, daß sich dieses Unterlassungsgebot weitgehend mit dem Wortlaut des § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG deckt. Diese Übereinstimmung ergibt sich daraus, daß die gesetzliche Vorschrift bereits so konkret gefaßt ist, daß eine weitere Konkretisierung untunlich wäre; sie ist daher nicht erforderlich.

    b) Das Berufungsgericht hat ferner angenommen, daß die Beklagte die Rückkehrpflicht des § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG verletzt und damit zugleich gegen § 1 UWG verstoßen habe. Es hat hierzu festgestellt, daß die Fahrer der Beklagten in der Zeit vom 4. Oktober bis 8. November 1984 in elf Fällen mit Mietwagen der Beklagten zwischen acht und sechsundzwanzig Minuten nach Ausführung eines Beförderungsauftrages gehalten hätten, ohne an den Betriebssitz zurückzukehren. Hieraus folge, daß die Fahrer gegen die Rückkehrpflicht verstoßen hätten. Daß im Einzelfall eine Ausnahme von der Rückkehrpflicht bestanden hätte, habe die Beklagte darzutun und zu beweisen. Sie habe sich zu den einzelnen Vorfällen aber entweder überhaupt nicht substantiiert erklärt oder jeweils eine sogenannte Leerfahrt, bei der der Fahrgast nicht erschienen ist, lediglich pauschal behauptet.

    Diese Ausführungen lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Es begegnet insbesondere keinen rechtlichen Bedenken, daß das Berufungsgericht hinsichtlich der Ausnahmen von der Rückkehrpflicht im Sinn von § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG die Beklagte für darlegungs- und beweispflichtig angesehen hat. Wie der Senat in der Entscheidung vom 5. Mai 1988 (I ZR 124/86, „Rückkehrpflicht“) ausgeführt hat, trägt – entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln – der Mietwagenunternehmer grundsätzlich die Beweislast dafür, daß eine Ausnahme von dem Regelfall der Rückkehrpflicht vorliegt. Mit Rücksicht auf die – auch vom Berufungsgericht aufgeführten – Beweisschwierigkeiten des Mietwagenunternehmers dürfen dabei allerdings keine zu hohen Beweisanforderungen gestellt werden. Auch bei dieser Einschränkung reichen die Darlegungen der Beklagten jedoch nicht aus, um das Vorliegen von Ausnahmen in den konkreten Einzelfällen darzutun.

    c) Die Klägerin ist auch berechtigt, die festgestellten Wettbewerbsverstöße geltend zu machen. Es ist insbesondere nicht hinreichend dargetan, daß sie in Bezug auf diese Wettbewerbsverstöße ihrerseits rechtswidrig oder wettbewerbswidrig gehandelt hätte.

    Die Revision sieht in dem Vorgehen der Klägerin eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes der Beklagten wegen umfassender Verfolgung und Überwachung ihrer Mietwagenfahrer, unzulässigen Abhörens ihres Funksprechverkehrs und Herbeiführens von Leerfahrten. Dieser Einwand greift jedoch im vorliegenden Fall nicht durch. Zwar kann ein andauerndes, umfassendes Überwachen eines Mitbewerbers als ein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB) und gegen die guten Sitten im Wettbewerb anzusehen sein; dies gilt insbesondere dann, wenn dabei auch unzulässige Mittel angewendet werden (vgl. BGH, NJW 1970, 1848). Im Streitfall reichen die getroffenen Feststellungen jedoch nicht aus, um ein solches Überwachungssystem anzunehmen und damit ohne den Nachweis des konkreten Rechtsmißbrauchs im Einzelfall eine unzulässige Rechtsausübung anzunehmen.

    Der Revision ist allerdings einzuräumen, daß Umstände vorliegen, die zumindest den Verdacht auf ein unzulässiges, allgemeines Überwachungssystems der Klägerin im Verhältnis zu der Beklagten begründen können. Hierfür sprechen das vom Berufungsgericht festgestellte unbefugte Abhören des Funksprechverkehrs der Beklagten. Auch die getroffenen Feststellungen, wonach innerhalb eines Zeitraums von gut einem Monat in elf Fällen, und zwar an teilweise abgelegenen Orten und zu nächtlicher Zeit, Zeugen der Klägerin zur Stelle waren, um die Wartezeiten des jeweiligen Mietwagenfahrers abzumessen, sprechen für ein planmäßiges Vorgehen seitens der Klägerin. Letztlich reichen diese Verdachtsmomente aber noch nicht aus, um mit ausreichender Sicherheit ein Überwachungssystem der Klägerin in einem unzulässigen Ausmaß anzunehmen. Es hätte daher weiterhin hinsichtlich aller Einzelfälle der Darlegung und des Nachweises des unzulässigen Vorgehens der Klägerin bedurft, um den Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs durchgreifen zu lassen.

    d) Zu einer Aussetzung des Verfahrens im Hinblick darauf, daß in Bezug auf § 49 Abs. 4 Satz 3 PBefG ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, sieht der Senat keinen Anlaß. Ob eine Aussetzung in solchen Fällen überhaupt zulässig ist, kann dahinstehen. Denn auch wenn dies zu bejahen wäre, folgt daraus noch nicht, daß das Gericht zur Aussetzung auch verpflichtet wäre, wenn das erkennende Gericht keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit hat (BGHZ 74, 38, 84). So liegt es auch hier. Die von der Revision erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht.

    3. Mit den festgestellten Verstößen gegen das Personenbeförderungsgesetz hat die Beklagte zugleich gegen § 1 UWG verstoßen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats stellt die Verletzung solcher Vorschriften einen Wettbewerbsverstoß dar, wenn sich ein Wettbewerber bewußt und planmäßig über sie hinwegsetzt, obwohl für ihn erkennbar ist, daß er dadurch einen Vorsprung vor Mitbewerbern erlangen kann (vgl. BGH, Urt. v. 6.3.1986 – I ZR 218/83, GRUR 1986, 621 – Taxen-Farbanstrich, m.w.Nachw.). Dies ist hier der Fall. Die Verstöße bringen der Beklagten erkennbar einen Wettbewerbsvorsprung vor ihren gesetzestreuen Mitbewerbern. Wie die Vielzahl der festgestellten Verstöße zeigt, handelt es sich auch um ein bewußtes und planmäßiges Verhalten. Der Klage ist daher zu Recht aus § 1 UWG stattgegeben worden.