Ausschank unter Eichstrich II (BGH – I ZR 136/84)

Leitsatz
 
Zu den Voraussetzungen eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs im Sinne der UWG §§ 1 und 3 im Zusammenhang mit der Mindererfüllung oder Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten (hier im Zusammenhang mit dem Ausschank von Bier).

BGH, Urt. von 10.12.1986 – I ZR 136/84 – OLG München, LG München 

 

Tatbestand:
 
Die Beklagte betreibt in M. eine Gaststätte. Der Kläger, ein Verbraucherschutzverband, hat behauptet, die Beklagte habe in ihrem der Gaststätte angeschlossenen Biergarten am 10. Juli 1981 in einer Reihe von Fällen die Maß Bier (ein Liter) für 5,– DM angeboten und diesen Preis auch kassiert, die angebotene Menge aber nicht voll ausgeschenkt, auch nicht auf Reklamationen hin. Mit diesem Verhalten habe die Beklagte ihre Kunden in wettbewerbswidriger Weise getäuscht (§ 3 UWG). Wie ihr Vorgehen erkennen lasse, lege sie es darauf an, ohne Preisnachlaß weniger Bier als angeboten auszuschenken. Dadurch verschaffe sie sich im Wettbewerb mit anderen Gastwirten einen ungerechtfertigten Vorsprung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Maß Bier zum Preis von 5,– DM anzubieten, sofern nicht tatsächlich eine volle Maß für den angegebenen Preis ausgeschenkt wird.

Die Beklagte hat einen unzureichenden Bierausschank, wie ihn der Kläger behauptet hat, bestritten und vorgetragen, ein Minderausschank komme zwar gelegentlich vor. Dies beruhe aber nicht auf der Absicht, sich durch Kundentäuschung Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen. Bei Bier, einem Gärungsgetränk, lasse sich eine Fehlmenge – vor allem wenn Hochbetrieb herrsche wie am 10. Juli 1981 – nicht stets vermeiden. Solchen Fällen trage sie dadurch Rechnung, daß sie das Publikum durch Anschläge im Lokal auffordere, sich gegebenenfalls nachschenken zu lassen.

Das Landgericht hat die Beklagte nach Vernehmung von Zeugen zur Unterlassung verurteilt (§ 3 UWG). Die Berufung gegen dieses Urteil hat das Oberlandesgericht, ebenfalls nach Beweisaufnahme, zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
 

Entscheidungsgründe:

 
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe die Beklagte zu Recht zur Unterlassung verurteilt. Zwar regele § 3 UWG nicht den Ausgleich von Leistungsstörungen zwischen Vertragspartnern. Die Vorschrift greife aber dann ein, wenn das Publikum im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs durch täuschende Angaben irregeführt werde. So sei es hier. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Beklagte 20 bis 30 Maß Bier, die eine Tischgesellschaft im Rahmen von drei Runden bestellt habe, nicht voll ausgeschenkt, vielmehr hätten die Bierkrüge deutlich oder erheblich weniger als einen Liter Bier enthalten. Dabei sei der Biergarten zum fraglichen Zeitpunkt nicht sehr stark besucht gewesen, so daß keine das Einschenken beeinträchtigende Ausnahmesituation gegeben gewesen sei. Reklamationen der Gäste bei der Bedienung und beim Schankkellner seien erfolglos geblieben. Das zeige, daß die Schankkellner der Beklagten bewußt und planmäßig zu wenig Bier ausgeschenkt hätten. Dies bestätigten auch die im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigenden eigenen Beobachtungen der Mitglieder des erkennenden Senats des Berufungsgerichts in der weiteren und näheren Vergangenheit, nach denen im Biergarten der Beklagten beim Ausschank von einer Maß Bier regelmäßig weniger als ein Liter Bier ausgeschenkt werde.

Die Ankündigung der Beklagten, die Maß Bier für 5,– DM zu verkaufen, sei daher irreführend. Es entlaste die Beklagte nicht, daß sie, wie unstreitig sei, ihre Schankkellner zu einem ordnungsgemäßen Ausschank angehalten habe. Für das Verhalten ihrer Schankkellner habe sie gemäß § 13 Abs. 3 UWG einzustehen. Darüber hinaus sei davon auszugehen, daß die Beklagte das Vorgehen der Schankkellner geduldet habe.

II. Die gegen dieses Urteil gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

1. Unbegründet ist die Rüge der Revision, der Tenor des vom Berufungsgericht bestätigten Urteils des Landgerichts sei zu weit gefaßt, weil er der Beklagten in dem erkannten Umfang das Angebot von einer Maß Bier zu 5,– DM schlechthin verbiete und damit jede, auch unbeabsichtigte und unbedeutende, Minder- oder Schlechterfüllung erfasse. Die Revision läßt dabei unbeachtet, daß der beanstandete Urteilsausspruch ausdrücklich auf Handlungen im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beschränkt ist, nämlich auf eine Förderung des eigenen Wettbewerbs durch gezielte und planmäßige Kundentäuschung, wie noch zu Ziff. 3. b) cc) auszuführen sein wird. Erfaßt werden also allein Wettbewerbsverstöße und nicht auch vereinzelte wettbewerbsrechtlich indifferente Vertragsstörungen.

2. Die Revision stellt weiter die Passivlegitimation der Beklagten in Abrede, weil, anders als das Berufungsgericht gemeint habe, die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 UWG vorliegend nicht gegeben seien. Wie in der Beweisaufnahme zur Sprache gekommen sei, habe einer der Schankkellner der Beklagten reklamierenden Gästen die Frage gestellt, wovon er denn leben solle. Eine solche Äußerung zeige, daß der Schankkellner mit einem etwaigen Minderausschank gegen die ihm erteilte Dienstanweisung zu ordnungsgemäßem Ausschank verstoße und damit nicht mehr im Rahmen des geschäftlichen Betriebs der Beklagten, sondern aus persönlichen Gründen gehandelt habe. Für ein solches Verhalten hafte aber die Beklagte nach § 13 Abs. 3 UWG nicht.

Ob diesen Erwägungen der Revision beigetreten werden kann, bedarf keiner Entscheidung. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei und insoweit unbeanstandet von der Revision festgestellt, daß die Beklagte das in Rede stehende Verhalten ihres Schankkellners jedenfalls geduldet habe, daß sie also den Schankkellner in Kenntnis des behaupteten planmäßig wiederholten Minderausschanks habe gewähren lassen. Dieses Verhalten begründet schon für sich eine etwaige Haftung der Beklagten. Insoweit geht es um ein Wettbewerbsverhalten der Beklagten selbst.

3. Bei seiner Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 3 UWG ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, daß aus dem Verstoß gegen Vertragspflichten eines Geschäftspartners, also aus der Nicht- oder Schlechterfüllung eines Kundenauftrags, hier im Zusammenhang mit der Bestellung von Bier, ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch nicht ohne weiteres hergeleitet werden kann. Allein aus einer vertragswidrigen Minder- oder Schlechterfüllung folgt noch nicht, daß der dafür verantwortliche Kaufmann (Händler, Lieferant, Gastwirt) insoweit zur Förderung seines Wettbewerbs gehandelt hat, was für einen Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG (oder aus § 1 UWG) Voraussetzung ist. Zwar ist eine Schlecht- oder Nichterfüllung individueller Vertragsansprüche Handeln im geschäftlichen Verkehr, und Vorteile, die dem Kaufmann daraus erwachsen, sind auch geeignet, seinem Wettbewerb zu dienen. Indessen handelt es sich insoweit lediglich um Folgen aus der Abwicklung eines konkreten Vertragsverhältnisses, die als solche keinen Bezug auf die Mitbewerber und keine Außenwirkungen auf den Wettbewerb haben und deshalb für sich allein auch keinen Rückschluß auf ein Handeln zur Förderung des eigenen Wettbewerbs zulassen. Anders ist es nur dann, wenn der Kaufmann von vornherein auf eine Übervorteilung seines Kunden abzielt und nicht gewillt ist, sich an seine Ankündigungen zu halten, und die darin liegende Kundentäuschung zum Mittel seines Wettbewerbs macht, so wenn die Beklagte im Rahmen des Betriebs ihres Biergartens einen Minderausschank von Anfang an einkalkuliert hätte, um sich durch gezielte und planmäßig wiederholte Kundentäuschung Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen. In diesem Falle hätte sie mit der Ankündigung der Abgabe von einem Liter Bier für 5,– DM in der Tat die Kundentäuschung zum Mittel des Wettbewerbs gemacht und damit insoweit zu Zwecken des Wettbewerbs i. S. der §§ 1 und 3 UWG gehandelt (BGH, Urt. v. 21.4.1983 – I ZR 30/81, GRUR 1983, 451, 452 = WRP 1983, 403, 404 – Ausschank unter Eichstrich; vgl. auch Urt. v. 11.5.1983 – I ZR 68/81, GRUR 1983, 587, 588 = WRP 1983, 663, 664 – Letzte Auftragsbestätigung; Urt. v. 7.5.1986 – I ZR 95/84, ZIP 1986, 1279, 1282 = WM 1986, 1062, 1064, 1065 – Widerrufsbelehrung bei Teilzahlungskauf).

a) Die Revision meint, an einem solchen unzulässigen Handeln zur Förderung des eigenen Wettbewerbs fehle es im Streitfall schon deshalb, weil die Ankündigung der Beklagten, eine Maß Bier koste 5,– DM, nicht mit dem Angebot gleichgesetzt werden könne, für 5,– DM erhalte der Gast eine volle Maß (ein Liter) Bier. Eine Irreführung des Verkehrs sei insoweit nicht gegeben. Der Gast mache sich keine Gedanken darüber, ob er bei der Bestellung einer Maß Bier auch tatsächlich in jedem Falle einen vollen Liter erhalte. Es sei allgemein bekannt, daß bei Bier ein exaktes Einfüllen genau bis zum Eichstrich normalerweise nicht möglich sei.

Diesen Ausführungen der Revision kann nicht beigetreten werden. Regelmäßig rechnet der Gast mit einer auftragsgemäßen Ausführung seiner Bestellung, bei Fallgestaltungen wie hier also mit dem Ausschank von einem Liter Bier, wenn er eine entsprechende Bestellung getätigt hat. Auch der Gastwirt sieht das nicht anders. Seine Werbung – wie im Streitfall die der Beklagten – baut gerade darauf auf, daß der Kunde Preis und Menge gegeneinander abzuschätzen und in Beziehung zu setzen weiß. Zwar kommt es vor, daß beim Ausschank von Bier die ausgeschenkte Menge auch nach dem Setzen des Schaums den Füllstrich an Bierglas oder Bierkrug nicht erreicht. Daraus kann aber nicht hergeleitet werden, daß der Gast – trotz der ihm der Sache nach bekannten Notwendigkeit der Kennzeichnung von Schankgefäßen mit einem Füllstrich (§ 18 EichG) und der optisch dadurch besonders kontrollierbar gemachten Verpflichtung des Gastwirts, bis zum Füllstrich auszuschenken – generell eine geringere als die bestellte Menge erwartet.

b) Die Revision meint weiter, das angefochtene Urteil könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht dabei von Feststellungen ausgegangen sei, die nicht prozeßordnungsgemäß getroffen seien. Auch damit kann die Revision – im Ergebnis – keinen Erfolg haben.

aa) Zu Recht macht sie allerdings geltend, daß das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung u.a. von Beobachtungen der Mitglieder seines erkennenden Senats in der weiteren und näheren Vergangenheit ausgegangen sei, nach denen im Biergarten der Beklagten die ausgeschenkte Maß regelmäßig weniger als einen Liter Bier enthalten habe. Diese Beobachtungen durfte das Berufungsgericht nicht berücksichtigen. Bei ihnen handelt es sich weder um allgemeinkundige noch um gerichtsbekannte Tatsachen im Sinne des § 291 ZPO, sondern um privates Wissen, auf das es sein Urteil nicht hätte stützen dürfen.

Allgemeinkundig ist die von den Mitgliedern des erkennenden Senats des Berufungsgerichts beobachtete Tatsache nicht, weil sie mehr oder weniger zufällig zur Kenntnis gerade der genannten Richter gelangt ist, aber nicht von jedermann ohne weiteres als richtig angenommen werden kann, was für den Begriff der Allgemeinkundigkeit Voraussetzung ist.

Aber auch als gerichtsbekannt durfte das Berufungsgericht die in Rede stehende Beobachtung nicht ansehen. Gerichtsbekanntheit in dem hier maßgebenden Sinne (§ 291 ZPO) kann nur hinsichtlich solcher Umstände bejaht werden, die dem Richter amtlich bekannt geworden sind. Private Kenntnisse wie hier über im Prozeß behauptete Vorgänge zählen dazu nicht. Andernfalls wäre der Richter in einer Person Richter und Zeuge. Mit der Prozeßordnung wäre das unvereinbar.

bb) Darüber hinaus durfte das Berufungsgericht – wie die Revision zutreffend rügt – nicht davon ausgehen, daß im Biergarten der Beklagten zur fraglichen Zeit kein sehr starker Besucherandrang geherrscht habe, so daß keine besondere Ausnahmesituation beim Einschenken gegeben gewesen sei. Auch diese Feststellung hat das Berufungsgericht nicht prozeßordnungsgemäß getroffen (§ 286 ZPO). Sie steht im Widerspruch zu dem vom Kläger nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten, daß ihr Biergarten mit einem Fassungsvermögen von 5.000 Besuchern am 10. Juli 1981 überfüllt gewesen sei. Auch aus den Aussagen der vom Landgericht und vom Berufungsgericht vernommenen Zeugen ergibt sich für eine gegenteilige Annahme kein Anhalt. Aus welchen Gründen das Berufungsgericht gleichwohl von einer anderen Sachlage ausgegangen ist, hat es nicht dargelegt.

cc) Aber auch bei Außerachtlassung der zu aa) und bb) erörterten Umstände, die das Berufungsgericht ersichtlich lediglich zur Bestätigung seiner aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme gewonnenen Überzeugung noch zusätzlich herangezogen hat, hält das Urteil auf der Grundlage der vom Berufungsgericht weiterhin getroffenen Feststellungen den Angriffen der Revision stand. Ohne Rechtsverstoß ist das Berufungsgericht auf Grund der vor ihm und vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, daß zu der in Rede stehenden Zeit im Biergarten der Beklagten in einer beträchtlichen Anzahl von Fällen die nach und nach auf Bestellung im Rahmen von drei Runden eingeschenkten Bierkrüge (20 bis 30 Maß Bier) deutlich weniger als einen Liter Bier enthalten hätten und daß Reklamationen – ungeachtet der im Lokal aushängenden Hinweise, sich in Fällen von Minderausschank nachschenken zu lassen – sowohl bei der Bedienung als auch beim Schankkellner fruchtlos geblieben seien. Während die Bedienung erklärt habe, sie könne sich nicht um Reklamationen kümmern, da ihr der Schankkellner nichts nachschenken werde, habe dieser entsprechende Beanstandungen mit der Frage zurückgewiesen, wovon er denn leben solle. Allein schon aus diesen Umständen konnte das Berufungsgericht herleiten, daß ein Minderausschank bei der Beklagten nicht nur zufällig, gelegentlich eines starken Besucherandrangs oder sonst einmal vorkomme, sondern daß er bei ihr üblich sei und absichtlich, planmäßig und bewußt, herbeigeführt werde. Angesichts der Vielzahl der festgestellten Fälle zur fraglichen Zeit und der Reaktionen von Bedienung und Schankkellner, die in der Tat darauf schließen lassen, daß im Biergarten der Beklagten Reklamationen von Gästen stets in der festgestellten Art und Weise zurückgewiesen werden, kann diese Feststellung des Berufungsgerichts weder als erfahrungswidrig noch sonst als rechtsfehlerhaft beanstandet werden. Vielmehr trägt sie die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte, wenn sie trotz Ankündigung eines Ausschanks von einem Liter Bier für 5,– DM den festgestellten Minderausschank duldet und den berechtigten Reklamationen ihrer Gäste nicht abhilft, in Wirklichkeit nicht gewillt ist, sich an ihre Ankündigung und den Aushang im Lokal, sich bei Minderausschank nachschenken zu lassen, zu halten und damit die Irreführung ihrer Gäste zum Mittel ihres Wettbewerbs macht (§§ 1, 3 UWG).

III. Die Revision der Beklagten war danach als unbegründet zurückzuweisen.