Unbestimmter Unterlassungsantrag II (BGH – I ZR 171/90)

Leitsatz

Ein Unterlassungsantrag, der zur näheren Umschreibung der tatsächlichen Voraussetzungen des zu untersagenden Verhaltens die Formulierung enthält: „Bestellungen, auf die wie in den mit der Klage beanstandeten Fällen deutsches Recht anwendbar ist“, genügt den Bestimmtheitsanforderungen des ZPO § 253 Abs 2 Nr 2 nicht.

Orientierungssatz

    1. Ein Unterlassungsgebot für Handlungen, die auf einer rechtlich erst vorzunehmenden Beurteilung beruhen, verlagert die Entscheidung über die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens in das Vollstreckungsverfahren und bedeutet für den Unterlassungsschuldner eine nicht erträgliche Unsicherheit über die Reichweite des auferlegten Gebots. Es entspricht damit nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die an eine Urteilsformel iSv ZPO § 313 Abs 1 Nr 4 zu stellen sind.

    2. Hier zur Frage fehlender Widerrufsbelehrung in Fällen, in denen auf den Vertrieb von Waren eines deutschen Verkäufers an deutsche Urlauber auf Ausflugsveranstaltungen im Ausland deutsches Recht anzuwenden ist.

BGH, Urt. v. 09.04.1992, OLG Stuttgart, LG Stuttgart

 

Tatbestand

    Die Beklagte vertreibt von ihr hergestellte Textilerzeugnisse. Beim Verkauf an deutsche Urlauber in Spanien tritt sie selbst als Verkäuferin auf, schaltet aber auch ausländische Vertriebsunternehmen ein. Es werden in deutscher Sprache abgefaßte Kaufvertragsformulare verwandt, in denen der Kaufpreisanspruch, soweit Vertriebsunternehmen eingeschaltet sind, an die Beklagte abgetreten wird. Die Beklagte liefert, wie in den Verträgen vorgesehen, die Ware an Käufer, die in Deutschland wohnen, dort aus. Diese sollen nach den Bedingungen des Kaufvertrages einen etwa anfallenden Schriftwechsel unmittelbar mit der Beklagten führen und Gewährleistungsansprüche ihr gegenüber geltend machen.

    Die klagende Verbraucherzentrale, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen, hat das Verhalten der Beklagten als wettbewerbswidrig beanstandet, weil die in Spanien abgeschlossenen Kaufverträge mit deutschen Touristen auf Ausflugsveranstaltungen geschlossen worden seien, ohne daß die Käufer über ihr Widerrufsrecht nach dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG) belehrt worden seien, wie dies geboten sei, da sich der Vertragsschluß nach deutschem Recht richte. Die Kaufverträge seien anläßlich von Freizeitveranstaltungen im Sinne dieses Gesetzes abgeschlossen worden. Die Beklagte handele deshalb wettbewerbswidrig, weil sie aufgrund von Verträgen, die ohne den gebotenen Widerrufsvorbehalt abgeschlossen worden seien, Waren ausliefere und Kaufpreisforderungen einziehe. Die Klägerin hat dazu vorgetragen, ihr lägen neun in Spanien mit deutschen Urlaubern zustandegekommene Kaufabschlüsse vor. In einem Fall sei kein bestimmtes Verkaufsunternehmen ausgewiesen, während in den anderen Fällen spanische oder britische Unternehmen als Verkäufer aufgeführt gewesen seien.

    Die Klägerin hat beantragt,

    der Beklagten unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu untersagen, einen Wettbewerbsverstoß, der darin besteht, daß anläßlich von Freizeitveranstaltungen Bestellungen von Letztverbrauchern entgegengenommen werden, auf die deutsches Recht anwendbar ist, ohne daß der Besteller in einer gesondert zu unterzeichnenden, drucktechnisch hervorgehobenen und dem Besteller auszuhändigenden Belehrung auf das nach dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften bestehende Widerrufsrecht hingewiesen wird, dadurch zu fördern, daß die Beklagte die insoweit bestellten Waren ausliefert und/oder die Bezahlung des Kaufpreises an sich verlangt.

    Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat das Begehren für nicht hinreichend bestimmt gehalten. Sie hat vorgetragen, für das Verhalten der selbständigen Vertriebsunternehmen, das zudem nach spanischem Wettbewerbsrecht zu beurteilen sei, sei sie nicht verantwortlich. Der Abschluß der Kaufverträge sei nach spanischem Recht zu beurteilen, das eine Widerrufsbelehrung bei Geschäften der vorliegenden Art nicht vorsehe. Durch die bloße Auslieferung der Ware und die Einziehung des Kaufpreises fördere sie auch keinen Wettbewerbsverstoß.

    Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen (OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 1083) und dabei unter Berücksichtigung des geänderten Antrags der Klägerin den Unterlassungsausspruch wie folgt neu gefaßt:

    Der Beklagten wird untersagt, aufgrund von bei Freizeitveranstaltungen aufgenommenen Bestellungen, auf die wie in den mit der Klage beanstandeten Fällen deutsches Recht anwendbar ist, die bestellten Waren auszuliefern oder die Bezahlung des Kaufpreises an sich zu verlangen, ohne daß der Besteller in einer gesondert zu unterzeichnenden, drucktechnisch hervorgehobenen und dem Besteller auszuhändigenden Belehrung auf das ihm nach dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften zustehende Widerrufsrecht hingewiesen wird.

    Mit der Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

    I. Das Berufungsgericht hat die Klage für zulässig und den Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt: Der Unterlassungsantrag orientiere sich im Rahmen zulässiger Verallgemeinerungen an der konkreten Verletzungshandlung und genüge den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die im Klageantrag und im – dem Klageantrag sachlich entsprechenden – Verbotsausspruch des Berufungsgerichts verwendeten Verallgemeinerungen nämlich „Freizeitveranstaltung“ und „Bestellungen, auf die deutsches Recht wie in den mit der Klage beanstandeten Fällen anzuwenden ist“, seien hinreichend bestimmt. Sie drückten das Charakteristische des festgestellten Verletzungstatbestandes aus. Unschädlich sei es, daß es sich um auslegungsbedürftige Begriffe handele, da der Umfang des jeweiligen Begriffs unter den Parteien nicht in Streit stehe. Mit prozeßökonomisch vertretbarem Aufwand sei das Verhalten der Beklagten nicht eindeutiger zu umschreiben, zumal die Klagebegründung und die Entscheidungsgründe zur Auslegung der Begriffe heranzuziehen seien.

    Die Beklagte handele wettbewerbswidrig, da sie Waren ausliefere und Bezahlung verlange, obwohl die Kunden entsprechend dem Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften (HWiG) über ihr Widerrufsrecht nicht belehrt worden seien, obwohl dies geboten gewesen sei, da der Verkauf anläßlich von Freizeitveranstaltungen stattgefunden habe. Dieses Verhalten der Beklagten sei nach deutschem Wettbewerbsrecht zu beurteilen.

    II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat Erfolg.

    1. Der Auffassung des Berufungsgerichts, der Klageantrag stehe mit den sich aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ergebenden Bestimmtheitsanforderungen in Einklang, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auch entspricht der vom Berufungsgericht neu formulierte Untersagungsausspruch nicht den Bestimmtheitsanforderungen, die an eine Urteilsformel im Sinn von § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zu stellen sind.

    a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muß die Klageschrift außer der bestimmten Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs einen bestimmten Klageantrag enthalten. Dessen Angabe bedarf es zur Festlegung des Streitgegenstandes und des Umfangs der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO), zur Erkennbarkeit der Tragweite des begehrten Verbots und der Grenzen seiner Rechtskraft. Daher darf nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefaßt sein, daß sich der Beklagte nicht erschöpfend verteidigen kann und es in der Zwangsvollstreckung, wenn dem gestellten Antrag im Erkenntnisverfahren Rechnung getragen würde, die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen wäre (BGH, Urt. v. 12.7.1990 – I ZR 236/88, GRUR 1991, 138 – Flacon; BGH, Urt. v. 11.10.1990 – I ZR 35/89, GRUR 1991, 254, 256 = WRP 1991, 162 – Unbestimmter Unterlassungsantrag). Das bedeutet zwar nicht, daß die Verwendung von Begriffen, deren Bedeutung nicht immer die gleiche sein muß – auch wenn sie in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind und ihre Benutzung üblich ist – in Antrag und Urteilsformel grundsätzlich und generell unzulässig wäre. Auch der Gebrauch solcher Begriffe kann hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Titulierung zweckmäßig oder sogar geboten sein, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe oder Bezeichnung kein Zweifel besteht. Anders liegt es aber dann, wenn die Bedeutung von Begriffen oder Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist. In solchen Fällen würden, wenn Sinngehalt und Bedeutung der verwendeten Begriffe dahingestellt blieben, Inhalt und Umfang des begehrten bzw. des erkannten Verbots nicht eindeutig feststehen. Für den Beklagten würde es eine nicht erträgliche Unsicherheit bedeuten, wenn er zur Unterlassung von Handlungen verurteilt würde, die nicht konkret umschrieben sind, um deren kennzeichnende Begriffe die Parteien streiten oder die – wie es im Streitfall in Betracht zu ziehen ist – auf einer rechtlich erst vorzunehmenden Beurteilung beruhen, und wenn demgemäß erst das Vollstreckungsgericht entscheiden müßte, wie weit das Unterlassungsgebot reicht.

    b) Unbedenklich und von der Revision auch nicht angegriffen erweist sich danach die Verwendung des Begriffs „Freizeitveranstaltung“ in Klageantrag und Urteilsausspruch. Über Anwendungsbereich und Reichweite dieses Rechtsbegriffs haben die Parteien vorliegend nicht gestritten, so daß insoweit Unklarheiten über Inhalt und Umfang eines Verbots weder für den Unterlassungsschuldner noch in einem etwaigen nachfolgenden Vollstreckungsverfahren zu befürchten sind (vgl. auch BGHZ 113, 11, 13, 14).

    c) Zu Recht beanstandet aber die Revision den in der Urteilsformel enthaltenen Bestandteil „Bestellungen, auf die wie in den mit der Klage beanstandeten Fällen deutsches Recht anwendbar ist“. Damit ist den an die prozessuale Bestimmtheit und damit an die Zulässigkeit eines Unterlassungsantrags und -gebots zu stellenden Anforderungen nicht genügt. Der Klageantrag und die entsprechend gefaßte Urteilsformel lassen den Umfang des ausgesprochenen Verbots nicht hinreichend erkennen. Die Frage, ob in anderen Fällen deutsches Recht ebenso anwendbar ist, wie das die Klägerin und das Berufungsgericht für die Bestellungen angenommen haben, die der Klägerin Anlaß zur Klage gegeben haben, läßt sich nicht einheitlich beantworten. Vielmehr sind nach den Regeln des internationalen Privatrechts die jeweils maßgeblichen Anknüpfungspunkte zu suchen, die von der Gestaltung der Verträge im Einzelfall abhängen. Das macht häufig eine nicht einfache rechtliche Beurteilung nötig. Daraus folgt, daß die Entscheidung über die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden und für die Beklagte als Unterlassungsschuldnerin eine nicht erträgliche Unsicherheit über die Reichweite des ihr auferlegten Unterlassungsgebots bestehen würde, was mit den Anforderungen an die Bestimmtheit des Unterlassungsgebotes nicht vereinbar wäre. Das Unterlassungsgebot kann vorliegend – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – auch keine hinreichende Konkretisierung dadurch erfahren, daß zur Bestimmung von Umfang und Reichweite der Urteilsformel und des Klageantrags die Entscheidungsgründe, der Tatbestand und das dort in Bezug genommene Parteivorbringen herangezogen werden können (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 22.2.1990 – I ZR 78/88, GRUR 1990, 611, 616 = WRP 1990, 626 – Werbung im Programm, in BGHZ 110, 278 insoweit nicht abgedruckt; BGH, Urt. v. 16.5.1991 – I ZR 218/89, GRUR 1991, 929, 930 – Fachliche Empfehlung II).

    2. Ist die Klage schon danach als unzulässig abzuweisen, bedarf es keiner Erörterung mehr, ob die Klage nicht auch deshalb ganz oder teilweise als unzulässig abzuweisen gewesen wäre, weil etwa die Klägerin nicht berechtigt ist, Wettbewerbsverstöße zu verfolgen, die nicht nach deutschem Recht, § 1 UWG, zu beurteilen sind (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.1982 – I ZR 39/78, GRUR 1982, 495, 497 = WRP 1982, 463 – Domgarten-Brand; Großkomm/Erdmann, § 13 UWG Rdn. 12).

    III. Danach war auf die Revision der Beklagten das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und auf die Berufung der Beklagten in Abänderung des Urteils des Landgerichts die Klage als unzulässig abzuweisen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.