Tageszulassungen (BGH – I ZR 56/92)

Leitsatz

    Ein nicht autorisierter Händler handelt wettbewerbswidrig, wenn er den gebundenen Vertragshändler über seine Absicht täuscht, die gelieferten Neufahrzeuge nach sogenannten Tageszulassungen weiterzuveräußern.

BGH, Urt. v. 30.06.1994, OLG München, LG Deggendorf

 

Tatbestand

    Die Klägerin ist Alleinimporteurin für M.-Fahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland. Sie vertreibt ihre Neufahrzeuge über ein gedanklich lückenloses Vertriebsbindungssystem. Dem gebundenen Händler ist der Verkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer untersagt.

    Die Beklagte zu 3 handelt mit Automobilen auch der Marke M.. Der Inhaber der Beklagten zu 2 ist bei ihr als Autoverkäufer angestellt. Keine der Beklagten ist eine autorisierte Händlerin der Klägerin.

    Am 9. Februar 1989 kaufte der Inhaber der Beklagten zu 2 bei dem M.-Vertragshändler H. ein Neufahrzeug M. Bus. Das Fahrzeug wurde auf den Inhaber der Beklagten zu 2 am 28. April 1989 zugelassen und war bereits wieder abgemeldet, als es an den Kunden K. verkauft und auf diesen am 5. Mai 1989 zugelassen wurde. Das Auto hatte nur wenige Kilometer auf dem Tachometer.

    Die Klägerin hat unter Hinweis auf weitere Fälle, wonach die Beklagten zu 2 und 3 bei M.-Vertragshändlern Neufahrzeuge gekauft und nach „Tageszulassungen“ weiterverkauft haben sollen, geltend gemacht, die Beklagten zu 2 und 3 verstießen als Außenseiter gegen ihr gedanklich und praktisch lückenloses Vertriebsbindungssystem. Die Beklagten zu 2 und 3 hätten sich durch die Vorspiegelung der Endabnehmereigenschaft, insbesondere in der Form des Leasings, bei den Vertragshändlern Neuwagen erschlichen, um diese als solche weiterzuverkaufen. Die zwischenzeitlich erfolgte sogenannte Tageszulassung berühre die Neuwageneigenschaft der verkauften Fahrzeuge nicht.

    Sie hat zuletzt beantragt,

    den Beklagten unter Androhung der näher bezeichneten Ordnungsmittel zu verbieten,

    im geschäftlichen Verkehr und zu Zwecken des Wettbewerbs M.-Neufahrzeuge unter Verschleierung der Wiederverkaufsabsicht oder durch Verleitung von M.-Vertragshändlern zum Vertragsbruch selbst oder über Dritte zu bestellen, um diese weiterzuverkaufen.

    Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Sie haben unter anderem geltend gemacht, M.-Fahrzeuge seien überall beziehbar. Es fehle auch am Schleichbezug. Die Händler der Klägerin seien über den Weiterverkauf aufgeklärt worden. Bei den von der Klägerin angeführten Fällen handele es sich auch nicht um einen Neuwagenverkauf, da die Fahrzeuge vorher bereits zugelassen gewesen seien.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Die (zugelassene) Revision verfolgt den Klageantrag gegen die Beklagten zu 2 und 3 weiter; die Revision hinsichtlich der Beklagten zu 1 hat die Klägerin zurückgenommen. Die Beklagten zu 2 und 3 beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

    I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei zwar davon auszugehen, daß die Klägerin über ein jedenfalls theoretisch lückenloses Vertriebsbindungssystem verfüge, das vertraglich sicherstellen solle, daß ihre Fahrzeuge nur auf dem vorgesehenen Vertriebsweg zum Endabnehmer gelangten. Den Händlern sei sonach der Verkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer außerhalb des eigenen Vertriebsbindungssystems untersagt. Die Beweisaufnahme habe auch ergeben, daß in dem von der Klägerin recherchierten Fall „Auto-H.“ im Frühjahr 1989 die Beklagte zu 2 sich ein Fahrzeug M. Bus aus dem Programm der Klägerin erschlichen habe; dem Zeugen H. sei dabei vorgespiegelt worden, den Wagen für einen Freund zu erwerben. Die Wiederverkaufsabsicht der Beklagten zu 2 sei dabei verheimlicht worden. Eine Verletzung des Vertriebsbindungssystems der Klägerin scheitere jedoch daran, daß das Fahrzeug nach der Zulassung auf die Beklagte zu 2 nicht als Neufahrzeug, sondern nur als Gebrauchtfahrzeug habe weiterverkauft werden können. Der Weiterverkauf von Gebrauchtwagen unterfalle aber nicht dem Vertriebsbindungssystem. Der Händlervertrag erkläre nur den Verkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer für unzulässig. Er betreffe damit nur Neufahrzeuge, die der Wiederverkäufer als Neufahrzeuge weiterverkaufe. Er betreffe also solche Neufahrzeuge nicht, die der Abnehmer für den eigenen Gebrauch kaufe und die er nicht als Neufahrzeuge verkaufe. Neufahrzeuge seien aber nur solche Fahrzeuge, die unmittelbar aus der Herstellung stammten. Sie dürften außerhalb von Herstellung und der üblichen Überführung nicht so behandelt worden sein, daß ihr wirtschaftlicher Wert gemindert sei. Aber schon die bloße Tageszulassung auch ohne Benutzung des Fahrzeugs stelle einen Mangel dar und nehme dem Fahrzeug die Eigenschaft als Neufahrzeug. Erfahrungsgemäß beeinträchtigten Voreintragungen im Kraftfahrzeugbrief den Wert eines Gebrauchtwagens. An das Datum der Erstzulassung knüpften sich nicht nur der Lauf der Frist für die Hauptuntersuchung nach § 29 StVZO, sondern auch der Lauf der Zwei-Jahres-Frist nach § 13 AKB sowie die Frist der Herstellergarantie. Es sei eine verbreitete Übung, daß Fahrzeuge mit Tageszulassung im Handel als Gebrauchtfahrzeuge veräußert würden.

    II. Die Revision hat im wesentlichen Erfolg.

    1. a) Rechtlich zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß ein Wettbewerber, der über einen vorgetäuschten Vermittlungsauftrag den gebundenen Händler dazu veranlaßt, ein Neufahrzeug zum Weiterverkauf durch einen nicht autorisierten Händler zu veräußern, wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG handelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist die Mißachtung einer Vertriebsbindung – insoweit auch ohne Nachweis der praktischen Lückenlosigkeit dieser Bindung – stets wettbewerbswidrig, wenn sich der Außenseiter die Ware auf unlauteren Schleichwegen, insbesondere durch Vorschieben eines Mittelsmanns unter Verheimlichung des wahren Abnehmers beschafft (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1988 – I ZR 184/86, GRUR 1988, 916, 917 = WRP 1988, 734 – Pkw-Schleichbezug; Urt. v. 5.12.1991 – I ZR 63/90, GRUR 1992, 171, 173 = WRP 1992, 165 – Vorgetäuschter Vermittlungsauftrag). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß es guten kaufmännischen Sitten widerspricht, ein von einem Hersteller geschaffenes, auf Lückenlosigkeit angelegtes und grundsätzlich schützenswertes Vertriebsbindungssystem mit dem Mittel der Täuschung um die beabsichtigte Wirkung bringen zu wollen.

    Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vertreibt die Klägerin die M.-Fahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland über gebundene Händler. Diese sind vertraglich gehalten, die Vertragsware nur an Endabnehmer oder an andere autorisierte M.-Vertragshändler zu veräußern; der Verkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer ist ihnen untersagt. Das Berufungsgericht hat des weiteren festgestellt, daß der Inhaber der Beklagten zu 2, welcher bei der Beklagten zu 3 angestellt ist, über einen Mittelsmann bei dem M.- Händler H. mit der wahrheitswidrigen Angabe, für einen Endabnehmer zu kaufen, ein M.-Neufahrzeug erworben hat. An diesem Schleichbezug hat sich die Beklagte zu 3 als Verkäuferin beteiligt.

    b) Der Ansicht des Berufungsgerichts, das Verhalten der Beklagten zu 2 und 3 sei wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, da schon die kurzfristige Zulassung eines Fahrzeugs (sogenannte Tageszulassung) dieses zu einem Gebrauchtfahrzeug werden lasse, das auch durch nicht autorisierte Händler vertrieben werden dürfe, kann nicht beigetreten werden.

    Das Berufungsgericht stellt bei seiner Betrachtungsweise vornehmlich auf bestimmte rechtliche Folgen ab, die sich aus der auch nur kurzfristigen Zulassung eines Kraftfahrzeugs für den Veräußerer wie für den Erwerber ergeben können. Hierauf kommt es aber für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Streitfalls nicht entscheidend an. Es ist vielmehr danach zu fragen, ob die Beklagten zu 2 und 3 durch ihr täuschendes Vorgehen den vertragsgebundenen Vertriebshändler zu einem vertragswidrigen Verhalten veranlaßt haben. Es ist nämlich wettbewerbswidrig, einen vertraglich gebundenen Händler durch Täuschung zu einem Geschäftsabschluß zu veranlassen, welchen er ohne diese wegen seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber dem vertriebsbindenden Unternehmen unterlassen hätte. Die Anerkennung eines gedanklich lückenlosen Vertriebsbindungssystems als wettbewerbsrechtlich schützenswert bedingt es, daß dem vertriebsbindenden Unternehmen gegenüber dem mit täuschenden Mitteln tätigen Außenseiter grundsätzlich der Schutz gemäß § 1 UWG zukommt (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1988 – Pkw-Schleichbezug aaO).

    Auf den Streitfall bezogen stellt sich also nicht vorrangig die vom Berufungsgericht beantwortete Frage, ob ein Kraftfahrzeug nach kurzfristiger Erstzulassung gebraucht ist und welche (zivil-)rechtlichen Folgen sich hieran anschließen, vielmehr kommt es darauf an, ob es einem gebundenen Vertragshändler gestattet ist, einem nicht autorisierten Händler Neuwagen zu verkaufen, wenn er weiß, daß dieser sie nach einer kurzfristigen Zulassung auf sich an Endabnehmer – mit oder ohne Hinweis auf die sogenannte Tageszulassung – weiterverkauft. Das ist ihm nach dem Inhalt des Vertrags aber verwehrt. Gemäß § 4 Nr. 2 des Händlervertrags der Klägerin ist „der Verkauf von Neufahrzeugen an Wiederverkäufer … unzulässig“. Die Vertragsklausel untersagt es dem gebundenen Händler nicht, an einen außenstehenden Händler ein M.-Fahrzeug zu veräußern, wenn dieser es als Endabnehmer selbst nutzen will. Die Vertragsklausel verbietet aber die Veräußerung von Neufahrzeugen, wenn vom Händler deren Weiterveräußerung beabsichtigt ist. Die im Streitfall festgestellte kurzfristige Zulassung dient ebensowenig wie die sogenannte Tageszulassung dazu, das Fahrzeug als Fortbewegungsmittel zu nutzen. Sie hat allein den, auch von der Revisionserwiderung nicht in Frage gestellten, Zweck, dem nicht autorisierten Händler die Weiterveräußerung des erworbenen Neufahrzeugs an private Endabnehmer zu ermöglichen. Dem in das Vertriebssystem eingebundenen Händler sind aber Geschäftsabschlüsse zu diesem Zweck verwehrt. Ein vertriebsgebundener Händler, der Neufahrzeuge veräußert in Kenntnis des Umstandes, daß der nicht autorisierte Erwerber nach sogenannten Tageszulassungen die Fahrzeuge weiterveräußert, setzt sich einem vertraglichen Verbotsanspruch des vertriebsbindenden Unternehmens aus. Daraus folgt zugleich, daß der nicht autorisierte Händler, der wie die Beklagten zu 2 und 3, durch Täuschung die Arglosigkeit des vertragsgebundenen Händlers zu eigenem geschäftlichen Vorteil für sich nutzt, sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG handelt.

    Danach ist auf die Revision dem Klagebegehren stattzugeben, soweit es darauf gerichtet ist, den Beklagten zu 2 und 3 zu verbieten, M.-Neufahrzeuge unter Verschleierung der Wiederverkaufsabsicht bei gebundenen Vertragshändlern zu bestellen, um diese weiterzuverkaufen.

    2. Ohne Erfolg bleibt die Revision, soweit sie das weitergehende Klagebegehren verfolgt, wonach den Beklagten zu 2 und 3 verboten werden soll, M.-Vertragshändler zum Vertragsbruch zu verleiten. Das Berufungsgericht hat zum Tatbestand des wettbewerbswidrigen Verleitens zum Vertragsbruch, der nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt BGH, Urt. v. 19.3.1992 – I ZR 122/90, GRUR 1992, 627, 629 = WRP 1992, 553 – Pajero) auch die praktische Lückenlosigkeit des Vertriebsbindungssystems voraussetzt, keine Feststellungen getroffen. Die Revision erhebt hierzu keine Rügen (§ 554 Abs. 3 ZPO). Insoweit erweist sich das Urteil des Berufungsgerichts, welches die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts bestätigt hat, als im Ergebnis zutreffend. Hinsichtlich der Beklagten zu 1 ist das Berufungsurteil nach Rücknahme der Revision in Rechtskraft erwachsen.

    III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 890 ZPO, §§ 566, 515 Abs. 3 ZPO, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO, wobei auf den erfolglosen Teil des Klagebegehrens (Verleiten zum Vertragsbruch) ein Wert von 20.000,– DM entfällt.