Vertreterbesuche nach schriftlicher Voranmeldung sind wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Angeschriebene mittels einer der Besuchsanmeldung beigefügten frankierten Rückantwortkarte den Besuch des Vertreters ohne weiteres ablehnen kann.
(BGH, Urteil v. 5.5.1994, I ZR 168/92, KG, LG Berlin)
Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Kammergerichts vom 14. Juli 1992 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die beklagte Versicherungsgesellschaft richtete im November 1988 an eine Familie, zu der sie keine geschäftlichen Beziehungen unterhielt, ein persönliches Anschreiben, in dem sie unter dem Betreff „Eine sorgenfreie Zukunft“ den Besuch eines Versicherungsvertreters ankündigte. Sie stellte dar, daß der vorhandene Versicherungsschutz des Empfängers des Schreibens möglicherweise nicht ausreichend sei und daß deshalb in den nächsten Tagen in einem persönlichen Gespräch mit einem ihrer Mitarbeiter Gelegenheit gegeben werde, die Versicherungsunterlagen zu überprüfen.
Der Kläger, ein Verbraucherschutzverein, hat dieses Vorgehen als Verstoß gegen § 1 UWG beanstandet, da die Entschließungsfreiheit der Empfänger des Schreibens, den Gesprächswunsch des Vertreters abzuweisen, unsachlich beeinträchtigt werde. Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel zu verurteilen,
es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher, zu denen bislang keine Beziehungen bestehen, zu Hause aufzusuchen, wenn zuvor der Vertreterbesuch schriftlich angekündigt wurde.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, durch die Besuchsankündigung werde kein psychischer Druck dahin ausgeübt, den Vertreter auch zu empfangen.
Das Landgericht hat die Beklagte nach dem Klageantrag verurteilt. Im Berufungsrechtszug hat die Beklagte eine strafbewehrte – vom Kläger nicht angenommene – Unterlassungserklärung abgegeben; in ihr hat sie die Verpflichtung erklärt, es zu unterlassen, Verbraucher, mit denen sie bislang keine Geschäftsbeziehungen unterhält, zu Hause aufzusuchen, wenn der Vertreterbesuch zuvor schriftlich angekündigt wurde, ohne daß dem Empfänger der Ankündigung gleichzeitig die Möglichkeit verschafft wurde, durch die portofreie Rücksendung einer der Besuchsankündigung beigefügten Antwortkarte oder durch gleichartige Mittel den Besuch des Vertreters abzuwenden, oder wenn der Empfänger der schriftlichen Besuchsankündigung mittels der Antwortkarte oder in anderer Weise darum gebeten hat, von einem Besuch Abstand zu nehmen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht (KG ZIP 1993, 464) die Klage abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger den Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat einen Wettbewerbsverstoß verneint. Es hat dazu ausgeführt: Unerbetene Vertreterbesuche im häuslichen Bereich seien grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig. Das könne aufgrund besonderer Umstände anders sein, so wenn der Umworbene in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt werde, den von ihm ausgelösten Vertreterbesuch sofort und ohne Begründung abzuwehren. Der vorliegend zu beurteilende Fall weise die Besonderheit auf, daß die Beklagte einen Vertreterbesuch ankündige und der Umworbene hierauf nicht reagiere, so daß er sich nach einigen Tagen dem Vertreter an der Tür gegenübersehe. Wenn der Empfänger des Briefes auf die schriftliche Ankündigung des Besuchs aus Vergeßlichkeit oder bewußt nicht reagiert habe, sei er gleichwohl nicht gehindert, ein persönliches Gespräch mit dem Vertreter abzulehnen. Die Situation sei damit die gleiche wie bei einem nicht angekündigten Vertreterbesuch. Der Umworbene sei im Gegenteil besser in der Lage, ein Gespräch abzulehnen, da er nicht überrascht werde. Wenn der Empfänger des Schreibens lediglich unterlassen habe, eine Antwortkarte zurückzusenden, entstehe bei ihm nicht der Eindruck, er könne sich mit einem Vertreterbesuch einverstanden erklärt haben. Mit ihrem Schreiben täusche die Beklagte die Empfänger nicht und erschleiche sich auch nicht die Möglichkeit eines Hausbesuchs. Aus dem Schreiben ergebe sich hinreichend deutlich, daß ein persönlicher Besuch eines Vertreters angekündigt werde. Eine Meinungsumfrage zur Beurteilung der Zulässigkeit der Werbemaßnahme der Beklagten sei nicht einzuholen. Ob diese gegen die guten Sitten verstoße, beurteile sich nach der Anschauung der Mehrzahl, zumindest nach dem Durchschnitt der zu den beteiligten Verkehrskreisen gehörenden Personen. Der Kläger behaupte aber selber nicht, daß ein solcher Teil des Verkehrs das Verhalten der Beklagten mißbillige. Im übrigen sei der Begriff der guten Sitten auch bei einem Rückgriff auf die herrschende Verkehrsauffassung stets ein rechtlicher. Da die Klage somit unbegründet sei, komme es nicht darauf an, inwieweit durch die Unterlassungserklärung der Beklagten eine Wiederholungsgefahr entfallen sei.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Soweit das Unterlassungsbegehren auch Fälle umfaßt, in denen die Beklagte den Empfängern des Ankündigungsschreibens die Möglichkeit eröffnet hat, ohne besonderen Aufwand portofrei den Besuch abzulehnen, und die Empfänger von dieser Möglichkeit auch Gebrauch machen, kann ihm schon nach der von der Beklagten abgegebenen Unterlassungserklärung nicht entsprochen werden. Denn dadurch hat die Beklagte die für den Erfolg der Klage erforderliche Wiederholungsgefahr ausgeräumt, auch ohne daß der Kläger die Unterlassungserklärung anzunehmen brauchte. Diese stellt sich – was für die Beseitigung der Wiederholungsgefahr entscheidend ist – nach der versprochenen Sanktion und den Umständen, unter denen sie abgegeben wurde, als Ausdruck eines ernsthaften Unterlassungswillens dar (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 31.5.1990 – I ZR 285/88, GRUR 1990, 1051, 1052 = WRP 1991, 27 – Vertragsstrafe ohne Obergrenze). Aber auch für die danach zur Beurteilung noch verbleibenden Fälle, in denen die Empfänger der Besuchsankündigung von der ihnen gegebenen Möglichkeit, den Besuch abzuwenden, keinen Gebrauch gemacht haben und deshalb von dem Vertreter, wie angekündigt, aufgesucht werden, ist die Klage nicht begründet. Insoweit muß sich bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung im Rahmen des § 1 UWG zugunsten der Beklagten entscheidend auswirken, daß die Vertreter der Beklagten die Angeschriebenen in die Lage versetzen, den angekündigten Besuch mittels der der Ankündigung beigefügten freigemachten Rückantwortkarte ohne weiteres und ohne jede ins Gewicht fallende Mühewaltung abzulehnen.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß Vertreterbesuche, bei denen Verbraucher ohne vorherige Kontaktaufnahme im häuslichen Bereich angesprochen werden, wettbewerbsrechtlich seit jeher als zulässig angesehen worden sind, es sei denn, daß aufgrund besonderer Umstände die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs gegeben wäre (vgl. BGH, Urt. v. 8.7.1955 – I ZR 52/54, GRUR 1955, 541 = WRP 1955, 206 – Bestattungswerbung; Urt. v. 11.11.1958 – I ZR 179/57, GRUR 1959, 277, 280 – Künstlerpostkarten; BGHZ 54, 188, 193 – Telefonwerbung I; BGH, Urt. v. 1.2.1967 – Ib ZR 3/65, GRUR 1967, 430, 431 – Grabsteinaufträge I; BGHZ 56, 18, 20 – Grabsteinaufträge II).
Vertreterbesuche liegen im Rahmen einer traditionell zulässigen gewerblichen Betätigung. Davon gehen sowohl die Gewerbeordnung (§§ 55 ff. GewO) als auch das Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften und ähnlichen Geschäften aus (BGH, Urt. v. 16.12.1993 – I ZR 285/91, WRP 1994, 262 – Lexikothek). Nichts anderes gilt für Vertreterbesuche zum Zwecke des Abschlusses von Versicherungsverträgen. Daß § 6 Nr. 2 HausTWG den Abschluß von Versicherungsverträgen von der Anwendung dieses Gesetzes ausgeschlossen hat, hat seinen Grund nicht darin, daß der Gesetzgeber angenommen hätte, solche Verträge würden nicht mehr innerhalb der Wohnung abgeschlossen; § 6 Nr. 2 HausTWG berücksichtigt vielmehr, daß in § 8 Abs. 4 VVG für alle Versicherungsverträge (mit mehr als einjähriger Laufzeit) ein Widerrufsrecht eingeführt worden ist, unabhängig davon, wo diese abgeschlossen worden sind (vgl. Teske, NJW 1991, 2793, 2795). Danach kann der Auffassung, ohne ausdrückliche oder stillschweigende Aufforderung seitens des Wohnungsinhabers sei regelmäßig eine wettbewerbswidrige Belästigung gegeben (Paefgen, EWiR 1993, § 1 UWG 4/93, 181), in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden. Unangekündigte Hausbesuche von (Versicherungs-)Vertretern sind üblich und, wie angeführt, auch wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig. Eine Änderung dieser Beurteilung wäre ein erheblicher Eingriff in die Berufsausübung nicht lediglich der Versicherungsgesellschaften, sondern auch der Versicherungsvertreter. Ein solcher Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit ließe sich aber nach Art. 12 GG nur rechtfertigen, wenn dafür ausreichende Gründe des Gemeinwohls bestünden und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wäre, wenn also das Mittel eines Verbots dieser Werbung zur Erreichung des verfolgten Zwecks, eine Belästigung der Umworbenen als Kriterium für die Sittenwidrigkeit solchen Wettbewerbsverhaltens zu vermeiden, geeignet und erforderlich wäre und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ein Verbot die Grenze der Zumutbarkeit noch wahren würde (vgl. BVerfGE 61, 291, 312). Die mit jedem Besuch im Privatbereich notwendigerweise verbundene Störung oder Belästigung reicht jedoch dafür allein nicht aus.
2. Weitere Umstände, die vorliegend Vertreterbesuche bei Personen, die von der Möglichkeit der Absage keinen Gebrauch gemacht haben, wettbewerbswidrig erscheinen lassen könnten, sind, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht gegeben. Diejenigen Adressaten der Schreiben der Beklagten, die bewußt von einer Absage abgesehen haben, werden den Besuch im allgemeinen nicht als unzumutbare Belästigung empfinden. Aber auch diejenigen, die aus Versehen oder Vergeßlichkeit dem Schreiben der Beklagten, in dem der Besuch angekündigt wurde, keine Aufmerksamkeit geschenkt haben, werden nicht in unzumutbarer – und damit wettbewerbswidriger – Weise in der Freiheit ihrer Entschließung beeinträchtigt, ein Gespräch beim Erscheinen des Vertreters noch abzulehnen. Anders als die Revision meint, beschränkt die Nichtabsage des Vertreterbesuchs den Angeschriebenen – trotz der ihm leicht gemachten Möglichkeit, den Besuch mittels der freigemachten Rückantwortkarte abzulehnen – nicht wesentlich und nicht mehr als bei unangemeldeten Besuchen in seiner Freiheit, den Vertreter, nicht zu empfangen. Auch wenn der Empfänger des Schreibens sich selbst oder dem Besucher gegenüber eingestehen muß, daß er dem Schreiben keine Beachtung geschenkt und so den Versicherungsvertreter zu einer vergeblichen Mühewaltung veranlaßt habe, kann der Versicherungsvertreter ihm nicht in begründeter Weise entgegenhalten, daß ihn der Angeschriebene durch seine Untätigkeit zu einem nutzlosen Tun veranlaßt habe (vgl. dazu BGH, Urt. v. 15.5.1968 – I ZR 17/66, GRUR 1968, 648f 649 = WRP 1968, 297 – Farbbildangebot).
Der von einem Versicherungsvertreter aufgesuchte Verbraucher weiß, daß dieser damit eine für den Vertreter übliche und nicht selten erfolglose Tätigkeit auf sich genommen hat, so daß schon deshalb für den Besuchten kein Anlaß besteht, sich in seiner Entschließungsfreiheit wesentlich beeinträchtigt zu fühlen. Vielmehr kann er auch jetzt noch, ohne daß ihm dies in besonderem Maße belasten müßte, das Beratungsgespräch ablehnen. Bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung angekündigter Vertreterbesuche sind im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung darüber hinaus auch die Vorteile in Betracht zu ziehen, die der Angeschriebene gegenüber nicht angekündigten Besuchen aus der Sicht der angesprochenen Verbraucher hat. Dem nicht angemeldeten Besuch wohnt ein Moment der Überrumpelung inne, das den Besuchten stärker belästigt, als es bei angemeldeten Besuchen der Fall sein kann. Zudem wird der unangekündigte Vertreter häufig längere Zeit benötigen, um sein Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Demgegenüber gibt die Besuchsankündigung dem Adressaten die Möglichkeit, sich auf ihn interessierende Fragen des Versicherungsschutzes vorzubereiten, also auch zu überlegen, ob es eines Gesprächs über erstmaligen, zusätzlichen oder erhöhten Versicherungsschutz bedarf. Die Ankündigung gibt ihm damit die Möglichkeit der Vorbereitung, auch der Erörterung eines etwaigen zusätzlichen Versicherungsbedürfnisses mit anderen Personen, gegebenenfalls auch unter Einschaltung der Mitarbeiter von Versicherungen, mit denen er bisher schon zusammengearbeitet hat, wodurch die Möglichkeit unbedachter Entschlüsse reduziert und der Informationsgewinn aus einem angekündigten Vertreterbesuch erhöht werden. Auch das steht der Beurteilung schriftlich angemeldeter Vertreterbesuche, wie sie der Kläger beanstandet, als nach § 1 UWG sittenwidrig entgegen.
Entgegen der Auffassung der Revision brauchte das Berufungsgericht nicht in seine Erwägungen einzubeziehen, daß die von der Beklagten verfolgte Absatzmethode infolge Nachahmung zu einer Verwilderung der Wettbewerbssitten führen könne. Bereits der persönliche und wirtschaftliche Aufwand, mit dem Vertreterbesuche bei schriftlicher Ankündigung regelmäßig verbunden sind, wirkt der von der Revision angenommenen Gefahr entgegen. Schließlich kann der Revision nicht darin zugestimmt werden, daß das Berufungsgericht eine Meinungsumfrage zur Behauptung des Klägers darüber hätte herbeiführen müssen, daß ein nicht unerheblicher Teil der Umworbenen die beanstandete Werbemethode für belästigend hält. Für die sittlich-rechtliche Gesamtbewertung des angegriffenen Verhaltens kam es darauf nicht an.
III. Danach war die Revision des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.