Hemdblusenkleid (BGH – I ZR 158/81)

Leitsatz

Zur Frage des wettbewerbsrechtlichen Nachahmungsschutzes einer Modeneuheit.

BGH, Urt. v. 10.11.1983, OLG Hamburg, LG Hamburg

 

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 16. Juli 1981 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 Von Rechts wegen

 

Tatbestand

    Die Klägerin ist ein französisches Konfektionsunternehmen der Damenoberbekleidung, das u.a. auch an Wiederverkäufer, insbesondere Einzelhändler, in Deutschland liefert. Die Beklagte zu 1 ist ein deutsches Versandhandelsunternehmen, das zweimal jährlich einen umfangreichen Katalog herausbringt. Die Beklagte zu 2 stellt Konfektionskleidung her, und zwar auch für die Beklagte zu 1.

    Die Klägerin bot in ihrem Frühjahr/Sommer-Katalog 1979, den sie im Herbst 1978 für Händler herausbrachte, ein zweifarbiges Kleid und eine farblich passende Strickweste in fünf verschiedenen Farbzusammenstellungen an, u.a. auch mit dunkelblauem Grund und „cyclam“-farbener Musterung. Das Kleid hatte ein großflächiges Karomuster; die Weste war einfarbig mit einer einstreifigen Umrandung in der zweiten Farbe. Als Schnitt des Kleides wurde u.a. eine Hemdblusenform mit langen Ärmeln und Plisseerock angeboten. Dieses Kleid war für die Klägerin entworfen worden.

    Die Beklagte zu 1 bot in ihrem Herbst/Winter-Katalog 1979/80 ebenfalls ein kariertes Hemdblusenkleid mit Plisseerock und eine Strickweste mit einstreifiger Umrandung in der Farbkombination „cyclam“ auf dunkelblau an. Das Kleid war von der Beklagten zu 2 entsprechend einem ihr von der Beklagten zu 1 übergebenen Kleid hergestellt worden; sie lieferte es außer an die Beklagte zu 1 auch an einen Schweizer Abnehmer.

    Die Klägerin sieht in diesem Kleid eine unzulässige Nachahmung ihres Modells und hat die Beklagte auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung sowie auf Schadensersatz, den sie nach Erteilung der Auskunft mit 50.341,– DM beziffert hat, in Anspruch genommen. Im Verhältnis zu der Beklagten zu 2 sind die Anträge auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung übereinstimmend für erledigt erklärt worden, während die Beklagten zu 1 auch insoweit Klagabweisung beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge auf gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Schadensersatzes von 50.341,– DM nebst Zinsen sowie auf Feststellung der Erledigung der Anträge auf Unterlassung (Klageantrag zu I a) sowie auf Auskunft und Rechnungslegung (Klageantrag zu II) auch gegenüber der Beklagten zu 1 weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision.

 

 

Entscheidungsgründe

    I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Urheberrechtsverletzung sei nicht gegeben, da das Klagemodell nur ein Können auf dem Gebiet des Schneiderhandwerks, nicht aber die für den Urheberrechtsschutz erforderliche darüber hinausgehende individuelle geistige Schöpfung erkennen lasse. Es sei auch kein Anspruch aus § 1 UWG gebeben; denn die Nachahmung von sondergesetzlich nicht geschützten Leistungen sei nur bei bestimmten zusätzlichen Umständen unlauter; derartige Merkmale lägen hier jedoch nicht vor. Aus den Umständen ergäbe sich zwar, daß die Beklagte zu 2 das Modell der Klägerin nachgeahmt habe. Es handle sich jedoch nicht um eine sklavische Nachahmung, da sich die beiden Modelle hinsichtlich der Schluppe, der Karos sowie des Randes an Kragen und Manschette unterschieden. Die Nachahmung sei auch nicht im Hinblick auf eine wettbewerbliche Eigenart des Klagemodells unlauter; denn hierfür müßte es aufgrund von Gestaltung und Merkmalen als Herkunftshinweis zur Unterscheidung von gleichartigen Erzeugnissen anderer Hersteller geeignet sein, was jedoch nicht der Fall sei. Schließlich sei auch keine Sittenwidrigkeit aus dem Gesichtspunkt der Nachahmung einer Modeneuheit anzunehmen. Zwar sei der Zeitraum für den saisonmäßig begrenzten Schutz für Modeneuheiten der Sommer-Saison noch nicht abgelaufen gewesen, als die Beklagte zu 1 ihr Modell im Juli 1979 in ihrem neuen Katalog angeboten habe. Das Klagemodell sei jedoch keine typische Modeneuheit, sondern ein sogenannter Klassiker, dessen Absatz nicht auf eine Modesaison begrenzt sei.

    II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

    1. Die Revision wendet sich allerdings ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin wegen Verletzung eines Urheberrechts verneint hat. Es ist zutreffend davon ausgegangen, daß auch Konfektionsmodelle auf dem Gebiet der Mode unter Urheberrechtsschutz gem. § 2 Abs. 2 UrhG stehen können. Voraussetzung ist allerdings eine eigentümliche Gestaltung von so hohem ästhetischem Gehalt, daß es sich nach den im Leben herrschenden Anschauungen um eine künstlerische Schöpfung handelt (vgl. RGZ 155, 199, 202 – Stoffmuster; BGHZ 16, 4, 5 f – Mantelmodell). Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht für das Klagemodell ohne Rechtsfehler verneint.

    Hinsichtlich der einzelnen Gestaltungselemente, nämlich Schnitt, Stoffmuster und Farbwahl, entfällt eine Eigentümlichkeit schon deshalb, weil nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts weder der Hemdblusenschnitt mit Plisseerock, noch die Karomusterung, noch die verwendeten Modefarben neu sind.

    Der Kombination dieser Elemente hat das Berufungsgericht ebenfalls eine künstlerische Eigenart und einen ausreichenden Grad an individueller geistig-schöpferischer Leistung abgesprochen, weil sie sich an Vorhandenem orientiere und auch im Ergebnis nur ein Beherrschen des Schneiderhandwerks erkennen lasse. Diese tatrichterliche Würdigung läßt keine Rechtsfehler erkennen. Sie geht insbesondere nicht von zu hohen Anforderungen an die Urheberrechtsschutzfähigkeit aus. Vielmehr stellt sie zutreffend darauf ab, daß eine Kombination von bekannten und modisch bedingten Elementen, auch wenn sie im Ergebnis geschmackvoll, eigenartig und gelungen ist, noch nicht als schutzfähiges Werk einzustufen ist, sondern daß sie dafür noch ein künstlerisches Schaffen im Sinne einer ästhetischen geistigen Schöpfung von der erforderlichen Höhe erkennen lassen muß. Wenn das Berufungsgericht diese Voraussetzung hier verneint hat, setzt es sich nicht in Widerspruch zu den insoweit maßgeblichen allgemeinen Lebensanschauungen.

    2. Die Revision hat jedoch Erfolg, soweit sie sich gegen die Verneinung eines Anspruchs aus § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Übernahme einer Modeneuheit mit wettbewerblicher Eigenart wendet.

    Das Berufungsgericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats davon aus, daß trotz Fehlens eines Sonderrechtsschutzes die Nachahmung saisonbedingter, wettbewerblich und ästhetisch eigenartiger Modeerzeugnisse innerhalb der Erscheinungssaison unlauter im Sinne von § 1 UWG sein kann; denn es kann die Regeln des lauteren Wettbewerbs verletzen, den Unternehmer, der unter Einsatz von Kosten und Ideen ein herausragendes, überwiegend nur in einer Saison absetzbares Modell geschaffen hat, durch Nachahmung in der Erscheinungssaison, um die ihm billigerweise zustehenden Früchte seiner Entwurfsarbeit zu bringen (BGHZ 60, 168, 170 f = GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheit).

    Eine Modeneuheit mit schutzwürdiger wettbewerblicher Eigenart, für die ausnahmsweise ein vorübergehender Nachahmungsschutz in Betracht kommt, liegt dann vor, wenn es sich um eine über den Durchschnitt herausragende modische Neuerscheinung handelt, deren Gesamteindruck durch individuelle ästhetische Gestaltungsmerkmale geprägt ist (vgl. BGHZ 60, 168, 170 = GRUR 1973, 478, 480 – Modeneuheit). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts werden Modelle mit klassischen Elementen oder klassischer Linie hiervon nicht ausgenommen; denn in der Mode, die überwiegend auf Vorbekanntem aufbaut, verhindert das Aufgreifen bekannter oder langlebiger Grundformen nicht, daß deren individuelle und saisonbedingte Ausgestaltung eine schutzwürdige Modeneuheit ergibt. Es läßt sich auch der „Modeneuheit“-Entscheidung nicht entnehmen, daß nur für hochmodische Erzeugnisse ein Wettbewerbsschutz gegen Nachahmung in Betracht käme, während Modelle mit einer klassischen Linie selbst dann davon auszunehmen wären, wenn sie im übrigen den erforderlichen Grad an individueller geschmacklicher Eigenart aufwiesen. Vielmehr kann auch diesen Erzeugnissen ein – im allgemeinen auf eine Saison beschränkter – wettbewerblicher Nachahmungsschutz zu gewähren sein.

    Auch die Annahme des Berufungsgerichts, daß es sich im vorliegenden Fall um ein langlebiges klassisches Modell handele, wird den festgestellten tatsächlichen Umständen nicht voll gerecht. Gegen diese Annahme spricht insbesondere die Verwendung von zwei Modefarben, die zudem noch stark kontrastieren und ein auffallendes Muster ergeben. Wie das Berufungsgericht ferner nicht berücksichtigt hat, hat die Beklagte zu 1 ihr Modell in dem Katalog unter der Überschrift „wertvoll modisch elegant“, also als modisch und nicht als klassisch, angeboten; dabei hat sie in dem Begleittext zu der Katalogabbildung das Kleid als „hochmodisch in den Details“ bezeichnet und als modisch u.a. die „raffinierte Schulterbetonung“ und den „tiefgezogenen Schalkragen“ hervorgehoben.

    Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer Modeneuheit mit wettbewerblicher Eigenart ferner zu Unrecht davon abhängig gemacht, daß das Modell Merkmale aufweist, die im Verkehr zur Unterscheidung von gleichartigen Erzeugnissen anderer Herkunft dienen können. Diese Voraussetzung braucht nämlich zu der Eigenart aufgrund individueller ästhetischer Gestaltung nicht hinzuzutreten. Die wettbewerbliche Eigenart findet ihren Ausdruck in der Eignung, auf die betriebliche Herkunft der Ware oder auf deren Besonderheiten hinzuweisen (BGH GRUR 1979, 119 – Modeschmuck, m.w.N.). Letzteres ist bei einer im ästhetischen Bereich liegenden individuellen Gestaltung im allgemeinen der Fall; auf eine besondere betriebliche Herkunftshinweisfunktion dieser individuellen schöpferischen Gestaltungsmerkmale kommt es dann regelmäßig nicht an. Die Wettbewerbswidrigkeit einer Nachahmung solcher Gestaltungen liegt im allgemeinen nicht in der Herbeiführung einer vermeidbaren Herkunftstäuschung, sondern in der Behinderung des Modeschöpfers, der darauf angewiesen ist, seinen durch die Eigenart seines Modells erzielten wettbewerblichen Vorsprung möglichst in der fraglichen Saison zu realisieren und der um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird, wenn Mitbewerber ihm in derselben Saison mit identischen oder nahezu identischen Nachahmungen – unter Ersparung der Entwurfskosten – Konkurrenz machen (BGHZ 60, 168, 170, 171 – Modeneuheit; 35, 341, 349 – Buntstreifensatin I).

    Es kommt somit allein darauf an, ob das klägerische Modell in seinem Gesamteindruck durch überdurchschnittliche individuelle Gestaltungsmerkmale im ästhetischen Bereich geprägt ist. Dies läßt sich aufgrund der bisherigen tatsächlichen Feststellungen nicht ausschließen. Vielmehr ist das Berufungsgericht, wenn es trotz seiner anerkennenden Würdigung des Modells ihm die wettbewerbliche Eigenart abspricht, von zu hohen Anforderungen ausgegangen. Es stellt selbst fest, daß das Modell nach Schnitt und Farbgebung ein gelungenes und geschmackvolles Kleid ist, das aus dem Rahmen fällt. Bei dieser Bewertung, die nach dem bei den Akten befindlichen Modell rechtlich nicht zu beanstanden ist, könnte der erforderliche Grad an individueller Gestaltung erreicht sein, zumal die Beklagten auch kein vergleichbares Erzeugnis beigebracht haben, das die Eigenart des klägerischen Modells in Frage stellen könnte. Bei dieser Sachlage kann eine schutzwürdige wettbewerbliche Eigenart nicht ohne weitere Nachprüfung verneint werden. Vielmehr bedarf es einer erneuten tatrichterlichen Würdigung und anhand der hier aufgeführten Rechtsgrundsätze einer Gesamtbewertung darüber, ob das klägerische Modell die ausreichende individuelle Gestaltung aufweist.

    Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Fall entscheidend an; denn hinsichtlich der weiteren Anspruchsvoraussetzungen bestehen nach dem bisherigen Sachstand keine durchgreifenden Bedenken. Bei der Frage, ob eine Nachahmung vorliegt, geht das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß davon aus, daß die Beklagten das Klagemodell nachgeahmt haben. Es wird jedoch zu überprüfen haben, ob die von ihm im Zusammenhang mit der sklavischen Nachahmung geführten Unterschiede genügen, um eine ausreichende Übereinstimmung zu verneinen.

    Auch hinsichtlich des Zeitpunktes der Nachahmung bestehen keine Bedenken gegen die Klageansprüche dem Grunde nach. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, fällt die Nachahmung durch die Beklagten noch in den Zeitraum, für den ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Betracht kommt. Das Klagemodell ist wegen der langen Ärmel und der Kombination mit der Strickweste kein hochsommerliches, sondern mehr ein Übergangsmodell, das insbesondere auch am Ausgang der Sommersaison an die Endverbraucher hätte abgesetzt werden können. Dies wird auch daran deutlich, daß die Beklagte zu 1 es in ihrem Herbst/Winter-Katalog aufgenommen hat. Der Klägerin könnte daher insbesondere auch für das Ende der Sommersaison 1979 ein Schutz gegen Nachahmung ihres Modells zuzubilligen sein. Da der Katalog der Beklagten zu 1 mit dem betreffenden Modell bereits im Juli 1979 ausgeliefert wurde, fällt der von ihm ausgehende Wettbewerb zumindest zu einem Teil in den möglicherweise der Klägerin für einen Wettbewerbsschutz zuzubilligenden Zeitraum.

    3. Im Ergebnis war das Berufungsurteil daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.