Leitsatz
Der kostenlose Abdruck privater Kleinanzeigen in einem gegen Entgelt vertriebenen Anzeigenblatt ohne redaktionellen Teil ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden.
BGH, Urt. von 12.10.1989 – I ZR 155/87 – OLG Düsseldorf, LG Düsseldorf
Tatbestand:
Die Klägerin verlegt die Tageszeitung „W. Zeitung“, in der neben einem umfangreichen redaktionellen Teil gewerbliche und private Anzeigen gegen Entgelt abgedruckt werden. Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, gibt das Offertenblatt „Annoncen-Avis“ heraus. Das Offertenblatt enthält keinen redaktionellen Teil, sondern nur gewerbliche und private Anzeigen. Es erscheint einmal wöchentlich und wird über Verkaufsstellen gegen ein Entgelt von 2,00 DM vertrieben. Der Abdruck privater Kleinanzeigen erfolgt kostenlos. Für den Abdruck von privaten Anzeigen ab einer bestimmten Größe und von gewerblichen Anzeigen wird ein Entgelt verlangt.
Die Klägerin hält den kostenlosen Abdruck privater Kleinanzeigen für wettbewerbsrechtlich unlauter. Die Beklagten verschenkten geldwerte Leistungen; der Inserent privater Kleinanzeigen ziehe das Angebot der Beklagten dem entgeltlichen Inserat in Tageszeitungen oder Anzeigenblättern vor. Der herkömmlichen Presse entgingen damit Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft, auf welche sie angewiesen sei, um im redaktionellen Teil leistungsfähig zu bleiben. Wettbewerbswidrig sei auch, daß der Kunde der Beklagten sich veranlaßt sehe, das Anzeigenblatt zu erwerben, um feststellen zu können, ob die Anzeige erschienen sei, und auch um sich auf diese Weise für den kostenlosen Abdruck dankbar zu erweisen.
Die auf Unterlassung des kostenlosen Abdrucks privater Kleinanzeigen, der hierauf gerichteten Werbung sowie auf Auskunftserteilung und Schadensersatzfeststellung gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob die Beklagten mit dem kostenlosen Abdruck privater Kleinanzeigen eine geldwerte Leistung verschenkten. Jedenfalls fehlten weitere notwendige Umstände, die das beanstandete Verhalten als wettbewerbswidrig erscheinen ließen. Das Angebot der Beklagten, private Kleinanzeigen kostenlos zu veröffentlichen, sei nicht als ein unlauteres Anlocken im wettbewerbsrechtlichen Sinne zu beurteilen. Der Inserent privater Kleinanzeigen werde nicht veranlaßt, künftig mit der Beklagten geschäftlichen Kontakt aufzunehmen. Auch lasse sich nicht feststellen, daß die Unentgeltlichkeit der privaten Kleinanzeige den Inserenten veranlasse, das Anzeigenblatt zu kaufen. Das beanstandete Verhalten der Beklagten führe auch nicht zu einer rechtswidrigen Behinderung von Mitbewerbern. Das neue Unternehmenskonzept der Beklagten widerspreche nicht dem Wesen des Leistungswettbewerbs. Eine Bedrohung des Bestandes der freien Presse sei nicht festzustellen. Das Offertenblatt der Beklagten enthalte keinen redaktionellen Teil; es sei deshalb nicht geeignet, die Tageszeitung zu ersetzen. Die Klägerin habe zudem nicht dargetan, daß das Offertenblatt der Beklagten zu einer Verringerung der Auflage der Tagespresse geführt habe. Die Steigerung der Auflage der von der Klägerin herausgegebenen Tageszeitung spreche gegen einen solchen Einfluß.
II. Die Revision stellt zur Beurteilung, ob der kostenlose Abdruck von privaten Kleinanzeigen im Offertenblatt der Beklagten als eine unzulässige Wertreklame oder wegen Behinderung von Mitbewerbern oder wegen der Gefährdung des Bestandes der Presse gegen die guten Sitten im Wettbewerb verstößt. Entgegen der Ansicht der Revision ist das Verhalten der Beklagten unter keinem dieser rechtlichen Gesichtspunkte zu beanstanden.
1. Das Berufungsgericht hat bei seiner rechtlichen Beurteilung offengelassen, ob die Beklagte mit dem Abdruck einer privaten Kleinanzeige eine geldwerte Leistung an den Inserenten erbringt. Die Beklagten meinen in ihrer Revisionserwiderung, dies sei nicht der Fall, da die maßgebliche Leistung gegenüber dem Käufer des Offertenblatts erbracht werde, der dieses nur gegen Entgelt erwerben könne. Der Ansicht der Beklagten ist nicht zu folgen. Es kommt für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Inseratsangebots der Beklagten als einer geldwerten Leistung entscheidend darauf an, ob nach der Vorstellung des Verbrauchers die Veröffentlichung privater Kleinanzeigen geldwerten Charakter hat. Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist für die revisionsrechtliche Beurteilung davon auszugehen, daß der kostenlose Abdruck und Vertrieb einer privaten Kleinanzeige durch die Beklagten ein Verschenken einer geldwerten Leistung an den Inserenten darstellt.
2. Die unentgeltliche Vergabe gewerblicher Leistungen ist indes nicht schlechthin wettbewerbswidrig im Sinne des § 1 UWG. Es müssen vielmehr im Einzelfall konkrete Umstände hinzutreten, welche die Unentgeltlichkeit einer Leistung im Anzeigengewerbe als sittenwidrig erscheinen lassen (vgl. BGHZ 81, 291, 293f. – Bäckerfachzeitschrift; Urt. v. 22.11.1984 – I ZR 98/82, GRUR 1985, 881, 882 – Bliestal-Spiegel). Solche die Wettbewerbswidrigkeit begründenden Umstände können darin zu sehen sein, daß die Art und der Umfang der unentgeltlichen Leistung den Empfänger in unsachlicher Weise zum Abschluß entgeltlicher Verträge veranlassen oder ihn derart an die kostenlos abgegebene Leistung gewöhnen, daß er davon absieht, Leistungsangebote anderer Mitbewerber auf Güte und Wirtschaftlichkeit zu überprüfen (vgl. BGHZ 43, 278, 284 – Kleenex; 51, 236, 242 – Stuttgarter Wochenblatt I; Urt. v. 22.1.1969 – I ZR 49/67, GRUR 1969, 295, 296 – Goldener Oktober). Denn die Beurteilung der Wettbewerbswidrigkeit ist abhängig von der individuellen Gestaltung des Leistungsangebots, der Intensität und der Werbewirkung der Gratisvergabe (BGHZ 51, 236, 242 – Stuttgarter Wochenblatt I).
a) Das Berufungsgericht hat es als ausgeschlossen angesehen, daß der Inserent, welcher eine kostenlose Kleinanzeige aufgibt, sich aus Dankbarkeit gehalten sieht, das Anzeigenblatt käuflich zu erwerben oder künftig Anzeigen gegen Entgelt bei der Beklagten zu 1 aufzugeben. Dagegen wendet die Revision sich nicht.
Nach Ansicht der Revision liegt der die Wettbewerbswidrigkeit begründende Umstand darin, daß der Kunde seine Entscheidung, private Kleinanzeigen aufzugeben, nicht nach dem Leitbild des Leistungswettbewerbs unterschiedlicher Angebote treffe, sondern allein im Hinblick auf die Unentgeltlichkeit des Abdrucks bei der Beklagten zu 1.
Diese Beurteilung steht mit den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Einklang. Die Parteien unterbreiten den Inserenten von privaten Kleinanzeigen unterschiedliche Leistungsangebote. Die Klägerin – wie auch die Verlage kostenlos vertriebener Anzeigenblätter mit kostenpflichtigen Anzeigen – bietet dem Inserenten gegen Entgelt die Gewähr, als Adressaten der Anzeige jedenfalls die Haushalte zu erreichen, welche die Zeitung regelmäßig erhalten. Nach der Vertriebskonzeption des Offertenblattes der Beklagten hingegen bedarf es erst des entgeltlichen Erwerbs durch einen anzeigeninteressierten Kunden, ehe die Anzeige einen Adressaten erlangt. Wegen des unterschiedlichen Vertriebs- und Absatzweges der Presseerzeugnisse der Parteien läßt sich die Kleinanzeige im Offertenblatt der Beklagten einem Inserat in der Tageszeitung der Klägerin nicht gleichstellen. Da die Parteien unterschiedlich zu bewertende Leistungen anbieten, erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Verhalten der Beklagten verstoße nicht gegen die Grundsätze des Leistungswettbewerbs, als rechtsfehlerfrei.
b) Das Wettbewerbsverhalten der Beklagten ist nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen auch nicht als eine Behinderung der Klägerin im Anzeigenmarkt oder als eine allgemeine Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit von Presserzeugnissen zu beanstanden.
Es ist nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts, wettbewerbliche Strukturen zu erhalten und wirtschaftlichen Entwicklungen allein deshalb entgegenzusteuern, weil sie bestehende Konzeptionen in Frage stellen. Niemand im Geschäftsleben hat einen Anspruch auf den Erhalt seines Kundenstammes. Eine wirksame Werbemaßnahme ist nicht schon deshalb als ein Verstoß gegen die Lauterkeit im Wettbewerb zu mißbilligen, weil sie Mitbewerbern unangenehm sein kann (vgl. BGHZ 19, 393, 395 – Freiburger Wochenbericht; 51, 236, 242 – Stuttgarter Wochenblatt I; 81, 291, 295 – Bäckerfachzeitschrift; Urt. v. 22.11.1984 – I ZR 98/82, GRUR 1985, 881, 882 – Bliestal-Spiegel). Denn es ist gerade Sinn der Wettbewerbsrechtsordnung, dem freien Spiel der Kräfte des Marktes im Rahmen der gesetzten Rechtsordnung Raum zu gewähren, was auch bedeutet, daß eine neue erfolgreiche Wettbewerbskonzeption Nachahmer findet.
Das Wettbewerbsverhalten im Streitfall könnte nur dann als mit den guten Sitten des Wettbewerbs nicht vereinbar anzusehen sein, wenn aus ihm eine ernste Gefahr für den Bestand des Wettbewerbs im Anzeigenmarkt erwüchse oder der Institutionsschutz der berichterstattenden Presse gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 20, 162, 175; 66, 116, 133) berührt würde. Es fehlen indessen tatsächliche Anhaltspunkte, welche die Annahme der Revision stützen könnten, die Anzeigenwerbung nach Art des Offertenblattes der Beklagten stelle den Bestand des Wettbewerbs auf dem Anzeigenmarkt in Frage. Das Berufungsgericht hat es als ausgeschlossen angesehen, daß die Konzeption des Offertenblattes der Beklagten, das aus einem Einzelverkaufspreis von 2,00 DM und aus den Einnahmen für gewerbliche Anzeigen und Privatanzeigen größeren Umfangs finanziert wird, Einfluß auf den Bestand des Wettbewerbs in diesem Marktbereich hat. Das Berufungsgericht hat hierzu von der Revision unbeanstandet festgestellt, daß die Beklagten nach betriebswirtschaftlich vernünftigen, auf Dauer angelegten sachgerechten Grundsätzen handeln. Bei solcher Sachlage liegt es fern, die beanstandete kostenlose Insertion von Kleinanzeigen bei der Beklagten als Ausfluß eines ruinösen, den Bestand des Wettbewerbs im Anzeigenmarkt in Frage stellenden Verhaltens zu qualifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1984 – I ZR 98/82, GRUR 1985, 881, 882 – Bliestal-Spiegel).
Die – von der Revision ebenfalls nicht beanstandeten – Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach seit dem Erscheinen des „Annoncen-Avis“ der Beklagten nicht nur die Zeitung der Klägerin, sondern auch weitere Tageszeitungen im gleichen Erscheinungsbereich ihre Auflage steigern konnten, stehen einer Annahme entgegen, die Tageszeitung mit ihrem redaktionellen Teil sei in ihrem Bestand oder auch nur in ihrer Funktionsfähigkeit als Presseorgan beeinträchtigt. Es ist zwar davon auszugehen, daß bei einer auf § 1 UWG gegründeten wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung zwischen dem Verleger einer Tageszeitung und dem eines reinen Anzeigenblattes ohne redaktionellen Teil in die gebotene Interessenabwägung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Bestand der Presse als Institution zur Bildung der Meinungsvielfalt Berücksichtigung zu finden hat (vgl. Urt. v. 22.11.1984 – I ZR 98/82, GRUR 1985, 881, 882 – Bliestal- Spiegel, mit Anmerkung Hefermehl aaO 883). Denn der grundlegenden Bedeutung, die dem Bestand und der Existenzfähigkeit eines freien Pressewesens zukommt, muß auch bei der Beurteilung des Verhaltens, mit welchem sich ein Verleger im Wettbewerb durchzusetzen versucht, Rechnung getragen werden (BGHZ 51, 236, 248 – Stuttgarter Wochenblatt I). Indessen bedarf es für die Gewährung des wettbewerbsrechtlichen Schutzes aus § 1 UWG der Feststellung konkreter Anhaltspunkte dafür, daß die Tätigkeit der freien Presse gefährdet sein könnte. Hieran fehlt es im Streitfall. Eine bloße theoretische Möglichkeit, daß ein Rückgang im Anzeigengeschäft der Tagespresse zu einer Einschränkung ihrer Finanzierungsgrundlage führen könnte, reicht nicht, das beanstandete Wettbewerbsverhalten der Beklagten mit dem Unwerturteil der Sittenwidrigkeit zu belegen.
II. Nach alledem hat die Revision keinen Erfolg.