Beitragsrechnung (BGH – I ZR 79/90)

Leitsatz

1. Zur Frage der Prozeßführungsbefugnis eines Verbraucherverbandes.

2. Zur Frage der Beurteilung der Irreführungsgefahr durch den Tatrichter aufgrund eigener Sachkunde, wenn der Tatrichter nicht zu dem angesprochenen Verkehrskreis gehört, aber eine besonders hohe Irreführungsgefahr besteht und davon auszugehen ist, daß nur ein Teil des angesprochenen Verkehrskreises über besondere, ihm eigene Erfahrungen verfügt.

 
Orientierungssatz
 
Die Versendung von Prämienrechnungen mit einem versteckten Angebot zum Abschluß eines neuen Versicherungsvertrags mit einer höheren Deckungssumme ist irreführend und verstößt gegen UWG § 3, wenn der Versicherungsnehmer nicht hinreichend darauf aufmerksam gemacht wird, daß er auch den alten Vertrag durch Übersendung der bisherigen Prämie aufrechterhalten kann.

BGH, Urt. von 13.02.1992 – I ZR 79/90 – OLG Koblenz, LG Koblenz 

 

 

Tatbestand:

 
Der Kläger ist ein Verbraucherverein. Zu seinen satzungsgemäßen Aufgaben gehört es, die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrzunehmen und zu fördern. Nach der Satzung hat er insbesondere den Zweck, unlauteren Wettbewerb zu unterbinden, der sich zum Nachteil der Verbraucher auswirkt, und gegen unzulässige Allgemeine Geschäftsbedingungen vorzugehen, die gegenüber Nichtkaufleuten verwendet und empfohlen werden. Seine Mitglieder sind durchweg juristische Personen, neben anderen die Verbraucherzentralen sämtlicher Bundesländer, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V., die Stiftung Warentest und die Stiftung Verbraucherinstitut.

Das beklagte Versicherungsunternehmen unterbreitete im Jahre 1987 Versicherungskunden, die Familienversicherungen unterhielten, ein Angebot zur Erhöhung der Deckungssumme der Privathaftpflichtversicherung. Versicherungsnehmern, die sich zu diesem Erhöhungsangebot nicht geäußert hatten, übersandte die Beklagte etwa sechs Wochen später – schon im Angebot angekündigte – Beitragsrechnungen der nachstehend im Klageantrag wiedergegebenen Art, in denen die Prämie entsprechend dem Erhöhungsangebot ausgewiesen war. In den Originalschreiben waren das Wort „Rechnung“, die Versicherungsscheinnummer und der mit „Achtung“ eingeleitete Hinweis blaßgelb umrandet. Den Schreiben waren vorbereitete Überweisungsträger beigefügt, die keinen bestimmten Zahlungsbetrag aufwiesen.

Diese Beitragsrechnungen hat der Kläger als irreführend und unlauter beanstandet. Viele der angeschriebenen Versicherungsnehmer übersähen den Hinweis auf das Erhöhungsangebot oder könnten diesen nicht zutreffend verstehen. Sie gingen deshalb davon aus, der in der Beitragsrechnung angegebene Betrag sei die fällige Versicherungsprämie, und überwiesen diesen an die Beklagte, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Kunden „Beitragsrechnungen“ der nachstehend wiedergegebenen Art nebst einem Blanko-Überweisungsformular zu übersenden:

Es folgt die Abbildung einer Rechnung der Versicherungsgesellschaft, in deren oberem rechten Bereich gelb unterlegt und engzeilig geschrieben folgender Hinweis steht:

 
         „Achtung: Diese Beitragsrechnung entspricht unserem
         Privat-Haftpflicht-Erhöhungsangebot vom 05.05.87.
         Haben Sie sich bisher noch nicht zu unserem Vorschlag
         geäußert, so ist in der Zahlung des erhöhten Betrages
         Ihre Zustimmung zur Erhöhung der Deckungssumme zu sehen;
         bei Ablehnung ist die sich nach derzeitigem
         Vertragsstand ergebende Prämie zu überweisen, also für
         die gesamte Familienversicherung 104,90 DM.“

Es folgt eine übliche Prämienrechnung mit Hebegebühr- und Versicherungssteueransatz, die sich über zwei Drittel des DIN A 4-Blattes erstreckt und in der nur noch der erhöhte Betrag von 125,50 DM erwähnt wird.

Die Beklagte hat demgegenüber vorgebracht, dem Kläger fehle bereits die Prozeßführungsbefugnis, weil er seine satzungsgemäßen Zwecke nicht hinreichend erfülle, insbesondere nicht im erforderlichen Umfang Aufklärung und Beratung der Verbraucher betreibe. Die behauptete Gefahr einer Irreführung der Versicherungsnehmer bestehe nicht, da diese durch das vorausgegangene Schreiben mit dem Erhöhungsangebot sowie die Hinweise in der Beitragsrechnung darüber unterrichtet würden, daß sie entweder den bisherigen Vertragsstand beibehalten oder durch Begleichung des erhöhten Prämiensatzes das Erhöhungsangebot annehmen könnten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben (OLG Koblenz WRP 1991, 44).

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.
 

Entscheidungsgründe:

 
Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I. 1. Das Berufungsgericht hat die Klage als zulässig angesehen und dazu ausgeführt, der Kläger sei ein Verbraucherverband im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG und damit prozeßführungsbefugt. In den bisherigen vom Kläger vor dem Berufungsgericht geführten Verfahren habe insoweit kein Anlaß zu Bedenken bestanden. Begründete Zweifel am Fortbestand der Prozeßführungsbefugnis habe die Beklagte nicht dargetan. Die Angaben des Klägers über sein Personal, seine finanzielle Ausstattung und seine umfangreiche Prozeßtätigkeit rechtfertigten vielmehr die Annahme, daß er auch weiterhin den Anforderungen an die Prozeßführungsbefugnis genüge.

2. Das Berufungsgericht ist zu Recht von der Prozeßführungsbefugnis des Klägers ausgegangen.

Nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG sind Verbände prozeßführungsbefugt, die sich satzungsgemäß die Aufklärung und Beratung der Verbraucher zum Ziel gesetzt haben und die diese Aufgaben auch tatsächlich wahrnehmen (vgl. BGH, Urt. v. 21.4.1983 – I ZR 30/81, GRUR 1983, 451 = WRP 1983, 403, 404 – Ausschank unter Eichstrich, zu § 13 Abs. 1 a UWG a.F.). Eine solche Tätigkeit im Verbraucherinteresse ist gegeben, wenn die Verbandsarbeit maßgeblich darauf gerichtet ist, die Verbraucher über Marktlage, Qualität und Preiswürdigkeit der verschiedenen im Wettbewerb angebotenen Waren oder Dienstleistungen zu unterrichten und ihnen die Auswahl unter diesen zu erleichtern (vgl. BGH, Urt. v. 9.6.1983 – I ZR 73/81, GRUR 1983, 775, 776 = WRP 1983, 667, 668 – Ärztlicher Arbeitskreis). Dazu kann bei einem Verbraucherverband von der Art des Klägers, dessen Mitglieder ihrerseits Verbraucherinteressen wahrnehmen, ausreichen, daß er sich an die Verbraucherschaft insgesamt wendet. Dies tut der Kläger in Verfolgung seines satzungsmäßigen Hauptzwecks bereits durch seine Öffentlichkeitsarbeit, die er über Presse und Rundfunk, teilweise auch mittelbar über seine Mitglieder, betreibt und mit deren Hilfe er die Verbraucher weithin über Waren und Dienstleistungen sowie die Vertragsbedingungen, unter denen diese vertrieben werden, aufklärt. Daneben hilft er auch einzelnen Verbrauchern durch kostenlos geleistete Beratung und Interessenvertretung im Einzelfall. Daß der Kläger seit Jahren in dieser Weise tätig wird, ist gerichtsbekannt und von dem Kläger zudem durch Vorlage von Unterlagen, die auch den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betreffen oder auf diesen Rückschlüsse zulassen, ausreichend belegt.

Die Aufklärungs- und Beratungstätigkeit des Klägers wird wesentlich ergänzt durch eine ausgedehnte Vertretung von Verbraucherinteressen im Wege der Abmahnung und Prozeßführung. Diese rechtsverfolgende Tätigkeit steht – wie sich auch aus den vorgelegten Unterlagen ergibt – mit der Öffentlichkeitsarbeit des Klägers in engem Zusammenhang. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Prozeßführung dient dabei keineswegs nur der Eigendarstellung des Klägers, sondern vor allem der vorbeugenden Aufklärung und Beratung der Verbraucher.

Der Kläger unterhält unstreitig zur Erfüllung seiner Aufgaben in Berlin eine Geschäftsstelle, die mit sechs Juristen, zwei Sachbearbeitern und vier Sekretärinnen besetzt ist.

Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger keine genügende finanzielle Ausstattung besitzt, bestehen nicht. Der Kläger wird ganz überwiegend durch Zuwendungen des Bundes finanziert. Er wird vom Bundesminister für Wirtschaft seit 1974 im Wege der sogenannten Fehlbedarfsfinanzierung gefördert (seit 1988 jeweils mit über 1,1 Mio. DM). Es gibt keine Hinweise darauf, daß der Kläger in überschaubarer Vergangenheit nicht in der Lage gewesen wäre, die Kosten verlorener Prozesse zu tragen. Im Hinblick auf seine Mitgliederstruktur und die seit langem bestehende institutionelle Förderung aus Bundesmitteln ist dies auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

II. Der Klageanspruch ist begründet, weil Beitragsrechnungen der beanstandeten Art geeignet sind, die Versicherungsnehmer der Beklagten irrezuführen (§ 3 UWG).

1. a) Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch für unbegründet gehalten, weil die Beklagte keine Handlung zu Zwecken des Wettbewerbs im Sinne der §§ 1, 3 UWG begangen habe. Die Beitragsrechnung sei allerdings irreführend, weil sie bei dem flüchtigen Leser den Eindruck hervorrufe, es handele sich um die übliche jährliche Prämienrechnung, und weil in dem unter der Überschrift „Beitragsrechnung …“ stehenden Text verschwiegen werde, daß die Zahlung des als fällig angeforderten Betrages die Zustimmung zur Erhöhung der Deckungssumme enthalten solle. Dieses Verhalten sei zwar geeignet, die eigene Geschäftstätigkeit der Beklagten zu fördern, dies geschehe aber nicht zum Nachteil anderer Versicherungsunternehmen. Die Wirkung einer Irreführung durch die Beitragsrechnung und einer aufgrund eines Irrtums erfolgten Zahlung beschränke sich auf das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und ihrem jeweiligen Versicherungsnehmer.

b) Dieser Beurteilung kann nicht zugestimmt werden. Nach ständiger Rechtsprechung, auf die auch das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend abgestellt hat, ist ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs anzunehmen, wenn das Verhalten objektiv geeignet ist, den eigenen oder einen fremden Wettbewerb zum Nachteil eines anderen zu begünstigen, und wenn der Handelnde dabei in subjektiver Hinsicht mit entsprechender Absicht tätig geworden ist, sofern diese Absicht nicht völlig hinter anderen Beweggründen zurücktritt (BGH, Urt. v. 22.5.1986 – I ZR 72/84, GRUR 1986, 898, 899 – Frank der Tat; Urt. v. 12.10.1989 – I ZR 29/88, GRUR 1990, 373, 374 = WRP 1990, 270, 271 – Schönheits-Chirurgie, jeweils m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Das Berufungsgericht hat die objektive Eignung des Verhaltens der Beklagten, den eigenen Wettbewerb zum Nachteil ihrer Wettbewerber zu fördern, zu Unrecht verneint. Da sich der Wettbewerb nicht auf die Gewinnung neuer Kunden beschränkt, sondern sich auch auf die Erhaltung des bisherigen Kundenstamms erstreckt, liegt ein Handeln zu Wettbewerbszwecken auch dann vor, wenn Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern sollen, daß Kunden abwandern (BGH, Urt. v. 17.12.1969 – I ZR 152/67, GRUR 1970, 465, 467 – Prämixe).

Die Verschleierung des Umstands, daß die Bezahlung der in der Beitragsrechnung ausgewiesenen Prämie als Zustimmung zur Erhöhung von Prämie und Deckungssumme verstanden werden sollte (dazu unten 2.), war geeignet, Kunden der Beklagten davon abzuhalten, nach Einholung anderer Angebote unter Kündigung des Versicherungsvertrages zu einem anderen Versicherer zu wechseln. Dafür, daß die Beklagte in Wettbewerbsabsicht gehandelt hat, spricht eine tatsächliche, vorliegend nicht widerlegte Vermutung.

2. Das Berufungsgericht hat weiter gemeint, ein Anspruch aus § 3 UWG könne ohne eine Beweiserhebung auch deshalb nicht zugesprochen werden, weil der Senat nicht selbst beurteilen könne, ob die Gefahr einer Irreführung für einen nicht ganz unerheblichen Teil des Verkehrs bestehe. Auch dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Berufungsgericht hat selbst unter Hinweis darauf, daß alle Mitglieder des Senats für sich die Gefahr einer Irreführung bejahten, festgestellt, die Beitragsrechnung der Beklagten sei in ihrer konkreten Gestaltung irreführend, weil sie bei dem flüchtigen Leser den Eindruck hervorrufe, es handele sich um die übliche jährliche Prämienrechnung. Darauf deute nicht nur ihre Aufmachung, sondern auch ihr Text hin. Tatsächlich betreffe die Rechnung aber eine Familienversicherung, die so noch nicht abgeschlossen sei, und laute auf einen Betrag, der in dieser Höhe nicht geschuldet werde. Darüber hinaus werde in dem unter der Überschrift „Beitragsrechnung …“ stehenden Text verschwiegen, daß die Zahlung des als fällig angeforderten Betrages die Zustimmung zur Erhöhung der Deckungssumme und damit zu einer Änderung der Familienversicherung enthalten solle. Der im Briefkopf angebrachte aufklärende Zusatz könne die Eignung der Beitragsrechnung zur Irreführung nicht beseitigen, weil er trotz des einleitenden Hinweises „Achtung“ vom flüchtigen Leser übersehen werde. Der Zusatz sei deutlich kleiner gedruckt als der sonstige Text und befinde sich nur im Briefkopf. Daher werde ihm nicht die nötige Beachtung geschenkt. Dies gelte um so mehr, als der in größerem Druck gehaltene Text der Beitragsrechnung in sich eindeutig und klar verständlich sei und bei dem Leser das Bedürfnis nach weiterer Aufklärung gar nicht erst aufkommen lasse. Die gelbe Umrandung des Zusatzes schließe nicht aus, daß dieser übersehen werde. Da im Briefkopf auch das Wort „Rechnung“ und die Versicherungsscheinnummer gelb umrandet seien, errege die gelbe Umrandung des Zusatzes keine besondere Aufmerksamkeit mehr. Vielmehr werde der Eindruck erweckt, der umrandete Text gehe in seiner Bedeutung nicht über die beiden ebenfalls umrandeten Stellen des Schreibens hinaus und habe für dessen Inhalt keine maßgebliche Bedeutung.

b) Diese Beurteilung, aus der das Berufungsgericht ohne weiteres eine Gefahr der Irreführung eines nicht unerheblichen Teils der angeschriebenen Versicherungsnehmer hätte folgern müssen, greift die Revisionserwiderung ohne Erfolg an.

(1) Das Berufungsgericht konnte die Frage, ob das als Beitragsrechnung bezeichnete Schreiben der Beklagten zur Irreführung geeignet sei, aus eigener Sachkunde beurteilen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es nicht ausgeschlossen, daß der Tatrichter die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise aufgrund seiner eigenen Sachkunde und Lebenserfahrung hinreichend zuverlässig beurteilen kann, sofern – insbesondere bei Gegenständen oder Leistungen des allgemeinen Bedarfs – die Anschauungen des unbefangenen Durchschnittskunden zu ermitteln sind und die Richter des zur Entscheidung berufenen Kollegiums selbst diesem Personenkreis angehören. Dieser Grundsatz gilt namentlich in den Fällen, in denen die Richter – wie hier – für sich selbst eine Irreführung bejahen, da es für die Zuerkennung des Unterlassungsanspruchs aus § 3 UWG entscheidend nur auf die Anschauungen eines nicht ganz unerheblichen Teils des Verkehrs ankommt (vgl. BGH, Urt. v. 1.2.1990 – I ZR 161/87, GRUR 1990, 532, 533 = WRP 1990, 701, 702 – Notarieller Festpreis; Urt. v. 21.6.1990 – I ZR 258/88, GRUR 1990, 1024, 1025 = WRP 1991, 92, 93 – Lohnsteuerhilfeverein IV, jeweils m.w.N.).

Umstände, welche die Annahme einer Irreführungsgefahr im vorliegenden Fall gleichwohl als bedenklich erscheinen lassen könnten, liegen nicht vor. Die Revisionserwiderung kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die langjährigen Versicherungsnehmer der Beklagten mit dem beanstandeten Verfahren zur Anpassung der Prämien und Deckungssummen vertraut seien. Denn zum einen wendet sich die Beklagte auch an Versicherungsnehmer ihrer Familienversicherung, deren Verträge noch nicht längere Zeit bestehen, zum anderen ist angesichts der hier in besonders hohem Maß gegebenen Irreführungsgefahr (dazu nachstehend (2)) anzunehmen, daß ein erheblicher Teil der angeschriebenen Versicherungsnehmer das Vorgehen der Beklagten – wenn überhaupt – erst nach wiederholten Erhöhungsaktionen durchschaut. Dies bedeutet, daß insgesamt ein großer Teil der angeschriebenen Versicherungskunden Beitragsrechnungen der beanstandeten Art nicht anders betrachtet als solche Personen, die mit der Beklagten keine Versicherungsverträge abgeschlossen haben, und deshalb – ebenso wie dies die Richter der Vorinstanz für sich selbst angenommen haben – durch die Gestaltung der Beitragsrechnungen über deren wirklichen Sinn getäuscht wird. Bei dieser Sachlage war es nicht erforderlich, durch Beweiserhebung zu klären, wie Beitragsrechnungen dieser Art von der Gesamtheit der Versicherungsnehmer der Beklagten, die mit ihr eine Familienversicherung abgeschlossen haben, verstanden werden.

(2) Das Berufungsgericht hat weiter rechtsfehlerfrei festgestellt, daß das Schreiben der Beklagten für einen flüchtigen Leser (der mit ihrem Verfahren zur Erhöhung der Prämien und Deckungssummen noch nicht vertraut ist) irreführend ist.

Bei seiner Beurteilung hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgestellt, welchen Eindruck das als „Beitragsrechnung“ bezeichnete Anschreiben nach seinem Gesamteindruck auf den flüchtigen Durchschnittsleser macht (vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.12.1987 – I ZR 190/85, GRUR 1988, 459, 460 = WRP 1988, 368, 369 – Teilzahlungsankündigung). Es hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, der Durchschnittsleser übersehe den mit „Achtung“ beginnenden aufklärenden Zusatz, auch wenn dieser gelb umrandet sei. Soweit die Revisionserwiderung demgegenüber geltend machen will, daß der aufklärende Zusatz blickfangmäßig hervorgehoben sei, versucht sie – revisionsrechtlich unzulässig – ihre eigene Beurteilung an die Stelle der maßgeblichen Beurteilung des Tatrichters zu setzen. Ihr Vorbringen steht zudem in Widerspruch zur Lebenserfahrung, nach der hier eine besonders hohe Gefahr der Irreführung gegeben ist.

(3) Die Gefahr der Irreführung wurde für die angeschriebenen Versicherungsnehmer nicht bereits dadurch beseitigt, daß die Beklagte diesen etwa sechs Wochen vorher ein Schreiben mit einem Angebot auf Erhöhung der Deckungssumme zugesandt hatte, dem bei aufmerksamem Lesen ein Hinweis auf ihre spätere Vorgehensweise hätte entnommen werden können. Denn dort wurde lediglich darauf hingewiesen, daß bei Fälligkeit eine Prämienrechnung übersandt werde, aus der sowohl die nach dem bisherigen Vertragsstand zu zahlende Prämie als auch die Prämie gemäß dem Erhöhungsangebot zu ersehen sein würden, und daß bei Überweisung des höheren Betrages der neue Versicherungsschutz gelten solle. Abgesehen davon, daß diesem Schreiben nicht zu entnehmen war, daß die „Beitragsrechnung“ bereits auf den höheren, noch nicht geschuldeten Betrag ausgestellt sein werde, kann nach der Lebenserfahrung auch nicht davon ausgegangen werden, daß diese nicht einfach zu lesenden Schreiben einen wesentlichen Einfluß auf das Verständnis der erst Wochen später zugegangenen Beitragsrechnungen haben konnten.

Im übrigen kann angenommen werden, daß ein Teil der Versicherungsnehmer der Beklagten zwar bei früheren gleichartigen Aktionen getäuscht wurde, inzwischen aber – nach Erkennen der Irreführung – mit dem Verfahren der Beklagten zur Erhöhung von Prämien und Deckungssummen vertraut ist. Es wäre jedoch unlauter, wenn sich die Beklagte gegenüber dem Vorwurf der Irreführung darauf berufen wollte, daß ihre Versicherungsnehmer zum Teil aus diesem Grund nicht mehr einer Irreführungsgefahr unterliegen.

III. Das Berufungsurteil war danach aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts entsprechend dem Klageantrag zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.